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Meinung: Über Humboldt wächst kein Gras

Das Stadtschloss hätte Zeit, aber die Sammlungen in Dahlem können nicht warten

Es war wie so oft in Berlin. Jemand hatte einen Einfall. Für den begeisterten sich immer mehr kluge und weitsichtige Leute. Und weil Begeisterung ansteckt, gab es am Ende sogar im Bundestag eine Mehrheit für die Idee, das unter Walter Ulbricht gesprengte Stadtschloss wieder erstehen zu lassen. Wilhelm von Boddien, der umtriebige Befürworter der originalgetreuen Rekonstruktion, will mit seinem Förderverein 80 Millionen Euro Spenden aufbringen, um drei der vier Seiten des Komplexes mit einer dem Original nachempfundenen Barockfassade versehen zu können. Alles wird gut, war die Quintessenz des Traums, als sich auch noch abzeichnete, wer in das neu-alte Schloss einziehen sollte: Humboldt-Forum war das Zauberwort.

Die in Dahlem verbliebenen ethnologischen Museen mit den auf die Brüder Humboldt zurückgehenden Sammlungen sollten in die Mitte Berlins rücken: die Völkerkunde frei zur Besichtigung für die Völker der Welt in der wieder vereinten Stadt. Die Realisierung war mit 670 Millionen Euro ein bisschen teuer, aber wer stoppt so eine Vision…

Ob das Schloss jemals so heiter pastellig aussehen wird, wie uns Boddiens potemkinsche Fassadenmalerei glauben machen wollte? Die jetzt wieder publizierten ersten Farbfotos aus dem frühen 20. Jahrhundert bestätigen eher einen Verdacht, den Skeptiker schon lange haben: dass das Schloss weniger als luzides Bauwerk denn als graue Masse wie der nahe Marstall den Platz beherrschen dürfte. Aber der Horror vacui, die Angst vor der Leere, ist stärker als jeder Einwand.

Nein, nicht stärker als jeder. Ende September stellte das Bundesfinanzministerium fest, dass man kein Geld für den Wiederaufbau habe. Und empfahl eine Umkehrung der Finanzierung: 80 Prozent private, nur noch 20 Prozent öffentliche Gelder, verbunden mit einer Nutzungsänderung. Weniger Kultur, mehr Büros, mehr Hotel, mehr Fast food. Da schäumte nicht nur der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann. Ein solches Schloss wäre Talmi. Zu großer Form lief nur einer auf, der schon immer gegen das Schloss war: Stadtentwicklungssenator Peter Strieder. Er will das Thema der nächsten Generation überlassen und einstweilen Gras über die Sache wachsen lassen. Auch das typisch (West-)Berlin.

Aber die Berliner sind nicht mehr unter sich, und so kam die Schloss-Kommission unter Kulturstaatsministerin Christina Weiss zu einer positiven Interpretation der negativen Lage. Sie verordnete ein zweijähriges Moratorium, in der Hoffnung, dass die rot-grünen Reformen greifen und sich die Haushaltslage des Bundes bessert. In dieser Zeit soll unter der Federführung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine detaillierte Raumplanung ausgearbeitet werden – als Grundlage für einen Architektenwettbewerb.

Wer einen Blick nach Dahlem wirft, wird schnell verstehen, warum die Vorgehensweise der Schlosskommission verantwortungsbewusster und zukunftsorientierter ist als die gärtnerische Perspektive von Peter Strieder. Seit der Wiedervereinigung von Nation und Hauptstadt, seit dem Ausbau des Kulturforums und der Sanierung der Museumsinsel, haben die Besucherströme Berlins eine andere Richtung eingeschlagen. 1988 kamen noch 1,1 Millionen Besucher in die Dahlemer Sammlungen, 2002 nur noch wenig über 200 000. Die weltberühmten völkerkundlichen Sammlungen liegen abseits der Stadtrundfahrten in sanierungsbedürftigen Räumen. Richtiges Leben herrscht nur noch im Juniormuseum, wo sich fröhlich-lärmende Schulkinder in das Leben fremder Völker einführen lassen. In den großen Sammlungen, zwischen den einzigartigen Exponaten, gibt es mehr Personal als Besucher.

Auch in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz weiß man: Die Besucherströme werden sich nicht wieder umkehren. Die Dahlemer Gebäude, wie veranschlagt, für mehr als 200 Millionen Euro grundlegend zu sanieren, wäre eine sträfliche Geldverschwendung. Heute kann es nur darum gehen, den Bestand zu sichern und vor Verfall zu behüten, bis die bauliche Lösung auf dem Schlossplatz fertig gestellt ist – in acht bis zehn Jahren.

Die im Ansatz auf den Forscherdrang der Humboldts zurückgehenden Sammlungen mit ihren einzigartigen Schätzen sind nationales Kulturerbe. Dies zu bewahren, ist eine Aufgabe des Bundes. Und mögen die Länder angesichts der Schloss-Planungen durchaus berechtigt einwenden, dass für die bayerische oder württembergische Geschichte das Berliner Hohenzollernschloss relativ bedeutungslos sei – an den Brüdern Humboldt kommen sie nicht vorbei.

Gerd Appenzeller

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