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Umweltpolitik: Geburt einer neuen Ära

Von Michael Müller und Wolfgang Thierse glauben, es gibt kein Zurück mehr: Wir brauchen einen ökologischen New Deal.

Wenn zugespitzte Problemlagen, handelnde Personen und konkrete Visionen zusammenkommen, werden geschichtliche Weichenstellungen möglich. Das war zuletzt 1989 der Fall, als die zweigeteilte Welt zusammenbrach. Damals wurde die Chance der deutschen Einheit genutzt, nicht jedoch die Möglichkeit, den Aufbau der neuen Länder mit dem Umbau der alten Länder zu verbinden. Wir plädierten für einen sozialökologischen New Deal, doch es triumphierte eine Siegermentalität. Finanzkapitalismus und Neoliberalismus nahmen Fahrt auf, setzten Marktwirtschaft mit Kapitalismus gleich und demontierten die soziale Ordnung.

Jetzt sind wir erneut in einer Schlüsselsituation. Spekulative Exzesse führten in die tiefste Wirtschaftskrise seit der großen Depression von 1929. Von daher steht Krisenmanagement im Vordergrund, um einen völligen Crash der Realwirtschaft zu verhindern. Aber es sollte das letzte Mal sein, dass ihr - und damit dem Steuerzahler - nur diese Wahl bleibt. Notwendig ist nicht nur die Sozialbindung des Eigentums, sondern auch des Kapitals, vor allem des Finanzkapitals.

Fatal wäre es jedoch, nur die Symptome zu kurieren. Für eine Neuordnung muss der Blick erweitert werden auf die Zukunft. Künftig werden vor allem der Umgang mit Wissen und der Schutz des Naturkapitals für Beschäftigung und Wirtschaft entscheidend sein. Wir leiden nämlich nicht nur am Altersrheuma einer maroden Ordnung. Wir erleben zugleich die Geburtsschmerzen einer neuen Epoche, die mit den bisherigen Wachstumskonzepten nicht zu bewältigen ist. Aus Klimawandel, Ressourcenknappheit und der nachholenden Industrialisierung großer Erdregionen die Konsequenzen zu ziehen, das wird mit der ökologischen Wissensgesellschaft möglich.

Ein Zurück zu den alten Antworten kann es nicht geben

Die moderne Gesellschaft erlebt heute nach dem Manchesterkapitalismus, dem Wohlfahrtsstaat und dem Finanzkapitalismus den dritten Epochenbruch seit der industriellen Revolution. Diese Einordnung ist wichtig, um die Dimension des Umbruchs zu erkennen. Die hemmungslose Ausbeutung der menschlichen Arbeit wurde - zumindest im westlichen Teil der Welt - durch den Wohlfahrtsstaat gebändigt. Das war das "sozialdemokratische Jahrhundert". Doch Mitte der 70er Jahre übernahmen die Geschäftsbanken das Kommando über die Wirtschaft und setzten weltweit Finanzgier und soziale Bindungslosigkeit durch.

Die Gelddealer wurden zu den Anwälten des Marktradikalismus, auch gefördert durch den Bedeutungsverlust des Nationalstaats in der Globalisierung. Die Hauptverantwortlichen für die Restauration hießen Margaret Thatcher und Ronald Reagan. Die englische Premierministerin und der amerikanische Präsident stellten die Weichen für die völlige Liberalisierung der Finanzmärkte.

Ein Zurück zu den alten Antworten kann es nicht geben, denn kennzeichnend für alle drei Epochen war die Ausgrenzung der Natur. Nun werden die ökologischen Grenzen des Wachstums erreicht: Mit dem Klimawandel kollabieren Gesellschaften. Die Zeit billiger Energie und Rohstoffe, bisher das Schmiermittel für Beschäftigung und Wohlstand, ist vorbei. Verteilungskonflikte und Ressourcenkriege drohen. Und die Industrialisierung bevölkerungsreicher Länder beschleunigt Klimawandel und Ressourcenknappheit. China ist bereits der größte CO2-Emittent der Welt, obwohl das Land erst am Beginn der Industrialisierung steht.

Die EU kann vorangehen

Um einen Kollaps zu verhindern, muss die Politik die Gestaltungsfrage stellen. Nur dann kann sie die spaltende Dynamik der Globalisierung und den zerstörerischen Wachstumsglauben beenden. Entweder kommt es zu einer Epoche der Nachhaltigkeit, die wirtschaftliche Dynamik mit sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Verträglichkeit verbindet, oder es drohen entfesselte Gewalt und erbitterte Verteilungskämpfe.

Die Politik muss mit aller Kraft den Aufbau einer modernen ökologischen Infrastruktur beginnen. Der wichtigste Schlüssel liegt in der effizienten und umweltverträglichen Nutzung von Energie und Rohstoffen. Sie erschließt die Zukunftsmärkte und gibt der Wirtschaft neue Dynamik. Unser Land ist der wichtigste Anbieter dieser Megatechnik. Um noch schneller eine Breitenwirkung zu erreichen, sollte für Effizienztechnologien die Mehrwertsteuer halbiert und eine Exportoffensive verstärkt werden.

Wie 1989 plädieren wir erneut für einen ökologischen New Deal. Vor dem Hintergrund der globalen Krise muss er mit Initiativen für ein ökologisches Bretton Woods verbunden werden. Bei dieser Zukunftsaufgabe kann die EU vorangehen, so wie bei der gemeinsamen Klima- und Energiepolitik, die ein mutiger Schritt ist. Dann kann es - wie in den USA - auch bei uns zu einem Aufbruch kommen, zum Aufbruch in die sozialökologische Wissensgesellschaft.

Michael Müller ist Fraktionsvize der SPD im Bundestag, Wolfgang Thierse (SPD) Vizepräsident des Bundestages.

Michael Müller, Wolfgang Thierse

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