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Wartburg

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Unesco-Weltkulturerbe: Wohin der Wind weht

Es ist die klassische Situation: Hier die Wartburg, auf der Martin Luther im 16. Jahrhundert die Bibel ins Deutsche übersetzte, dort der geplante Windpark – wenn auch in sieben Kilometer Entfernung. Am Ende heißt die Frage immer: Was nützt der Welterbestatus, was schützt er?

Zuletzt schreckte die Nachricht auf, die Stadt Nürnberg wolle das Reichsparteitagsgelände zum Weltkulturerbe erklären lassen. Große Aufregung, dann stellt sich heraus: Nicht das Reichsparteitagsgelände war gemeint, sondern der Schwurgerichtssaal, in dem die Nürnberger Prozesse stattfanden. Die „Stadt der Täter“ will damit die „Wiege des modernen Völkerstrafrechts“ ehren.

Was Kultur ist, was Weltkultur, das ist immer Thema, wenn es um die Unesco geht. Man sucht den gemeinsamen kulturellen Nenner, auf den sich alle, Japaner, Brasilianer, Afrikaner und Europäer, verständigen können. Nicht immer fällt das leicht. Kultur war bestimmt nicht, was auf dem Reichsparteitagsgelände geschah. Die Nürnberger Prozesse mögen eine Sternstunde der Justizgeschichte gewesen sein. Sie verhandelten jedoch mit den nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen schlimmste Unkultur.

Auch das KZ Buchenwald bei Weimar soll nach dem Willen von Thüringer Politikern zum Weltkulturerbe erklärt werden. Das Vernichtungslager Auschwitz steht bereits seit 1979 auf der Welterbeliste. Andere Orte wie ein Strafgefangenenlager in Australien und das Atombombentestgebiet auf dem Bikini-Atoll sind gerade auf der Sitzung der Unesco-Kommitees in Brasilia zum Weltkulturerbe erklärt worden. Gehören auch Verbrechen zur Kulturgeschichte?

Der Begriff des Weltkulturerbes verändert sich – nicht nur, weil inzwischen ein Run auf den touristisch gut zu vermarktenden Welterbe-Titel eingesetzt hat. Ging es lange Zeit darum, vor allem herausragende Kulturbauten zu schützen, weitet die Unesco seit Jahren ihr Gütesiegel auf Industriebauten und Naturlandschaften aus. Die Völklinger Hütte ist seit 1994 dabei. Gerade wurde die Oberharzer Wasserwirtschaft, ein Meisterwerk früher Bergbau- und Ingenieurbaukunst, aufgenommen. Auch die Fagus-Fabrik von Walter Gropius, eine Ikone des Neuen Bauens, soll für den Welterbestatus vorgeschlagen werden.

Doch nicht ein Bilderbuch wichtiger Sehenswürdigkeiten ist Ziel der Liste, sondern Rettung und Bewahrung dort, wo es zum Konflikt kommt. Dresdens Entscheidung, mit dem Bau der Waldschlösschenbrücke den Verlust des Weltkulturerbestatus in Kauf zu nehmen, ist ein Sündenfall. Potsdam, das gerade das 20-jährige Jubiläum seines Welterbetitels feierte, hatte mit der Überbauung des Glienicker Horns und dem Hauptbahnhof ebenfalls Probleme. Andernorts, im Mittelrheintal bei Koblenz und im ebenfalls als Weltkulturerbe anerkannten Regensburg, ist man bei Brückenprojekten jetzt vorsichtiger geworden und achtet auf bessere ästhetische Einbindung. Daher hat die Unesco-Kommission nun entschieden, die geplante Brücke unweit der Loreley sei mit dem Welterbestatus des Mittelrheintals vereinbar. Nicht jede Brücke ist schlecht. Aber Kontrolle ist besser.

Am Ende heißt die Frage immer: Was nützt der Welterbestatus, was schützt er? Zumeist doch nur die historische Situation. Eine gewisse Technik- und Fortschrittsfeindlichkeit ist den Erbe-Verteidigern eigen, Industriekultur hin oder her. So ist über einen Windpark unweit der Wartburg gerade erbitterter Streit entbrannt. Es ist die klassische Situation: Hier die Burg, auf der Martin Luther im 16. Jahrhundert die Bibel ins Deutsche übersetzte, dort der geplante Windpark, dessen zwei 140 Meter hohe Masten die Wartburg überragen würden – wenn auch in sieben Kilometer Entfernung. Ein Gericht entschied auf Unbedenklichkeit.

Unser Verständnis von Kultur ist stets dem Zeitgeist unterworfen. Was früheren Generationen wichtig war, ist heute überholt. Was man einst als alltäglich ansah, kann heute wichtiges Kulturzeugnis sein. Das Harzer Wasserregal wird von den Zeitgenossen wahrscheinlich als bedrohlich empfunden worden sein, so wie die erste Eisenbahn. Heute betrachtet man Zechengebäude, Bahnhöfe und Turbinenhallen als kulturelle Errungenschaften. Irgendwann werden vielleicht auch Windräder als Weltkulturerbe geehrt.

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