zum Hauptinhalt

Meinung: Unterdessen in Asien

Die Aufhebung des Waffenembargos gegen China zeugt von Europas Weltvergessenheit

Als das neue Jahrtausend anbrach, war man sich im Westen einig: Den Aufstieg Chinas in friedliche Bahnen zu lenken galt als größte außenpolitische Herausforderung der kommenden Jahrzehnte. Der 11. September hat dann den Nahen und Mittleren Osten ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Aber das Thema China ist zurück und das nicht nur in Wirtschaftskreisen.

Die von der EU gewollte Aufhebung des Waffenembargos – einst verhängt nach dem Massaker am Platz des Himmlischen Friedens 1989 – droht einen handfesten transatlantischen Konflikt auszulösen. Im US-Kongress zeichnet sich eine parteiübergreifende Koalition gegen die EU-Pläne ab. Es mehren sich die Stimmen derjenigen, die drohen, sensible Technik nicht mehr in die EU zu exportieren.

Es ist tatsächlich schwer zu begreifen, warum die Europäer, allen voran Deutschland und Frankreich, auf das Ende des Embargos drängen. Sie scheinen nur eins im Sinn zu haben – den Chinesen möglichst viel zu verkaufen. Zudem wird kräftig geschwindelt: Chinas Außenminister betonte gerade vor dem Volkskongress, man sei gar nicht an europäischer Waffentechnologie interessiert – obwohl allseits zu hören ist, dass die Chinesen in Verhandlungen mit EU-Regierungen über zivile Großaufträge gerne das Thema Waffenkäufe ansprechen. Genauso wenig glaubhaft ist die Beteuerung, gerade wieder in Washington vorgebracht von Frankreichs Verteidigungsministerin, die EU wolle die Waffenexporte gar nicht ausweiten, das Embargo werde durch strenge Ausfuhrrichtlinien ersetzt. Wer an den Verhandlungen über die Richtlinien beteiligt ist, erzählt eine andere Geschichte: Dort machten vor allem die Vertreter Frankreichs deutlich, dass Waffenverkäufe ermöglicht, nicht beschränkt werden sollen.

Heute verabschiedet der chinesische Volkskongress jenes Gesetz, das Taiwan mit Krieg droht, falls sich die Insel für unabhängig erklärt. Das zeigt: Es ist keinesfalls ausgemacht, dass der Aufstieg Chinas friedlich bleibt. Die immer nationalistischere Propaganda aus Peking sorgt für Unruhe in einer Region, die dank der stabilisierenden Rolle der USA Jahrzehnte stetigen Wirtschaftswachstums erlebt hat. Klar ist, dass die weitere Entwicklung Asiens wie die Exporterfolge des Westens in der Region davon abhängen, dass die USA ihre Ordnungsrolle beibehalten.

Deshalb haben die Amerikaner wenig Verständnis für die EU-Pläne. Im schlimmsten Fall rüstet Europa eine Armee mit moderner Technik auf, die bei einem militärischen Konflikt um Taiwan gegen US-Soldaten kämpfen würde. Selbst, wenn es dazu nicht kommen sollte: Je schlagkräftiger Chinas Militär wird, desto mehr Soldaten und Gerät müssen die USA in der Region bereithalten, um das militärische Gleichgewicht zu wahren. Die Zeche für die Ankurbelung der europäischen Exporte zahlen also die Amerikaner. Die mokieren sich schon lange über die Trittbrettfahrer vom Kontinent, die überall mitreden wollen, die von der globalen Ordnungsfunktion der USA profitieren, aber wenig tun, um den Amerikanern diese Bürde zu erleichtern – etwa dadurch, dass sie mehr in ihr Militär investieren. Nun wollen sie die amerikanische Ordnungsrolle in Ostasien gar aktiv erschweren.

Europa scheint wenig aus der eigenen Geschichte gelernt zu haben. Denn wie Deutschland und Italien am Ende des 19. Jahrhunderts ist das heutige China eine sich spät entwickelnde Nation, die im etablierten internationalen System nun auch einen „Platz an der Sonne“ einfordert. Bei Deutschland und Italien war die späte nationale Einigung die Ursache für das Aufholbedürfnis. China hingegen ist einer der ältesten Staaten des Globus. Nach Jahrhunderten des Niedergangs beginnt das Land aber jetzt erst, sein Potenzial in der modernen Welt zu entfalten.

Das Gefühl, nicht genug vom globalen Kuchen abbekommen zu haben, führte im Falle Roms und Berlins nicht nur zu einer späten, grausamen Kolonialpolitik, sondern auch zu einer aggressiven Außenpolitik in Europa selbst – mit den bekannten Folgen. Und das, obwohl es im damaligen europäischen Kontext genug andere Mittelmächte gab. Im pazifischen Raum hingegen gibt es außer den USA bald keinen mehr, der Chinas Macht ausbalancieren könnte, wenn das Land weiter in diesem Tempo aufrüstet. Die Versuchung für Peking wächst also, seine Interessen notfalls militärisch durchzusetzen. Umso mehr, je besser die Waffen sind, über die das Land verfügt.

Zudem neigen Staaten wie China, die sich in einem Transformationsprozess befinden, zu aggressiver Außenpolitik. Weil übersteigerter Nationalismus und die Konstruktion eines äußeren Feindes oft als Kitt dienen, gesellschaftliche Konflikte zu überdecken. Und so ist es kein Wunder, dass ein China, in dem soziale Unruhen auf der Tagesordnung stehen, kommunistische Rhetorik zunehmend durch nationalistische ersetzt.

Natürlich gibt es keine historische Zwangsläufigkeit, die besagt, dass Peking in den kommenden Jahrzehnten militärisch aktiv wird. Aber Erfahrungen aus der Geschichte und die schiere Übermacht Chinas in der Zukunft mahnen zur Vorsicht. Japan hat deshalb gerade die Sicherheitskooperation mit den USA intensiviert. All das scheint die Europäer nicht sonderlich zu interessieren. „Die haben keinerlei strategische Vision für unseren Raum“, sagte ein asiatischer Diplomat gerade in Berlin. Für einen Staatenbund wie die EU mit globalen Ambitionen ist das zu wenig.

Außenpolitik ist eine pragmatische Disziplin. Dass moralische oder strategische Überlegungen zuweilen hinter Handelsinteressen zurücktreten, gehört zum Geschäft. Allein: Der Aufstieg Chinas ist nicht irgendein Thema, sondern die vielleicht wichtigste geostrategische Frage der nächsten 50 Jahre. Wem da nicht mehr einfällt, als Chinas Drohgebärden gegen Taiwan mit der Aufhebung des Embargos zu belohnen, der verabschiedet sich aus der weltpolitischen Verantwortung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false