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Meinung: Uran-Geschosse: Krimi ohne Opfer

Deutschland auf Verbrecherjagd? Oder wieder nur eine Medien-Hysterie?

Deutschland auf Verbrecherjagd? Oder wieder nur eine Medien-Hysterie? Oder schon wieder miserables Politik-Management? Der Streit um die Uran-Munition ist zwar kompliziert, aber die Verwirrung der Öffentlichkeit hat einen anderen Grund: Die Entwicklungen von Sachstand, Regierungshandeln und Medienarbeit lassen sich nicht in Deckung bringen, sie nähern sich nicht einmal an, wie es sonst im Verlauf politischer Affären üblich ist.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Uran-Munition eine große Gefahr für deutsche Soldaten darstellt, ist mit dem näheren Hinsehen nicht gewachsen, sondern geschrumpft. Wenn hier ein Verbrechen vorliegt, dann eines ohne Opfer. Kein Leukämiefall unter den deutschen Kosovo-Soldaten ist bekannt; die Fachärzte halten einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der dort eingesetzten Uran-Munition und Blutkrebs für nahezu ausgeschlossen, weil die verflossene Zeit dafür zu kurz ist. In keiner Nato-Armee wurde nach dem Balkan-Einsatz eine höhere Leukämie-Rate beobachtet, als es dem statistischen Risiko für junge Männer entspricht. Die Meldungen über Beimischung von Plutonium - hochgiftig, hohes Strahlungsrisiko - beflügelten zwar noch einmal die Ängste. Aber auch dies blieb eine Debatte über potenzielle Gesundheitsgefahren. Und ob es überhaupt Plutoniumspuren an den Einschlagstellen in Bosnien und Kosovo gibt, muss erst noch gemessen werden.

Die Aufregung hätte sich wohl allmählich von selbst gelegt, wenn Kanzler und Verteidigungsminister die Suche nach den Fakten besonnen begleitet hätten. Das hätte auch die ihnen anvertrauten Soldaten beruhigt. Stattdessen jähe Wechsel: Eskalation, Deeskalation, Eskalation. Gleich nach der ersten Aufregung der markige Auftritt, erst Schröder, dann Scharping: Uran-Munition verbieten! Wozu? Die Nato ist nicht im Krieg. Zeit genug, erstmal zu klären, ob ein Risiko besteht. Mit ihrem Aktionismus nährten sie nur den Verdacht. In der Leukämie-Diskussion bemühte sich Scharping, abzuwiegeln, eskalierte aber dramatisch, als der Plutonium-Verdacht auftauchte. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wurde der amtierende US-Botschafter "einbestellt". Wer soll da glauben, dass keine Gefahr besteht.

Und die Medien? Der Teil, der sich als Kampfpresse versteht, versucht den nächsten Minister aus Schröders Kabinett herauszuschießen. Den, der ohnehin geschwächt ist durch die Debatte um Wehretat, Standortschließungen, romantische Sonnenuntergänge. Und jene, die schon immer gegen die Nato-Intervention waren, wollen noch einmal Recht behalten: Jetzt war Kosovo also auch ein kontaminierter Krieg. Die meisten Journalisten aber machen schlicht, was ihre Aufgabe ist: nachfragen, Experten anhören, bei Rüstungsfirmen und auf Truppenübungsplätzen recherchieren.

Jetzt ist nicht die Zeit für Rücktritte. Es ist die Zeit für weitere Überprüfungen. Auch wegen der bangen Frage, ob in fünf oder zehn Jahren auf einmal die Opfer auftauchen, die bis heute gottlob fehlen. Weil Strahlung und Vergiftung langfristig wirken, wenn es sie denn gibt. Scharping ist an diesem Wochenende auf dem Balkan, er führt Uran-Munition vor, lässt selbst nachmessen. Wenn sich keine gefährlichen Plutoniumspuren nachweisen lassen, dann wäre der Moment gekommen, um zu sagen: Wer ihm jetzt immer noch nicht glaubt, der betritt den Grenzbereich zwischen hoher Unwahrscheinlichkeit und reiner Fantasie. Doch für den Fall, dass der Verteidigungsminister noch an seinem Amt hängt, wird er künftig versuchen, selbst besser Maß zu halten - mit der Deeskalation wie mit der Eskalation.

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