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Die Anonymität von Samenspendern kann aufgehoben werden, so das neue Gerichtsurteil.

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Urteil zu Samenspende: Es gibt auch eine Freiheit jenseits der Gene

Das Oberlandesgericht in Hamm hat entschieden, dass Kinder anonymer Samenspender das Recht haben, den Namen ihres Vaters zu erfahren. Zur Entfaltungsfreiheit gehört allerdings auch, dass es ein Ich jenseits von Genen und Abstammung gibt.

Von Anna Sauerbrey

Woher kommen Sie? Beim Smalltalk zielt diese Frage auf einen Ort und leitet über in ein Gespräch über regionale Eigenheiten. Woher kommst du – das ist aber auch eine sehr persönliche, eine philosophische Frage. Wer sie sich selbst stellt, fragt nach seinen Eigenheiten.

Nun hat erneut ein Gericht die Bedeutung dieser Frage für die Persönlichkeitsentfaltung hervorgehoben. Das Oberlandesgericht in Hamm hat entschieden, dass Kinder anonymer Samenspender das Recht haben, den Namen ihres „Erzeugers“ zu erfahren. Geklagt hatte die 21-jährige Studentin Sarah P., die vor vier Jahren erfahren hatte, dass ihr Vater nicht ihr Vater ist.

Das Recht zu wissen, woher man (genetisch) kommt, ist in den vergangenen Jahren immer wieder gestärkt worden. Zugrunde liegt ein Urteil des Bundesverfassungsgericht von 1989. Darin heißt es: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch das Recht auf die Kenntnis der eigenen Abstammung.“ Auch in der Debatte um die anonyme Geburt haben Ethiker und Juristen immer wieder die Bedeutung dieses Wissens hervorgehoben. Die Familienministerin plant daher ein Gesetz zur „vertraulichen Geburt“. Demnach sollen Kinder, die von ihren Müttern zunächst anonym geboren wurden, nach 16 Jahren ein Recht darauf haben, zu erfahren, wer die Mutter ist.

Nun muss man der Rechtsprechung und der Gesetzgebung nicht unbedingt eine übergeordnete gesellschaftliche Bedeutung beimessen. Sie legt letztlich geltendes Recht aus. Dennoch werfen Fälle wie der von Sarah P. immer wieder die alte Frage auf: Was erfährt man eigentlich über sich, wenn man seine biologische Herkunft kennt? Wie bedeutsam ist sie im Vergleich zur „sozialen“ Herkunft?

Die Betonung der „Abstammung“ hat den schalen Beigeschmack des biologischen Determinismus. Sich unabhängig von der eigenen Biologie denken zu können, ist eine der größten Freiheiten, die sich moderne Menschen erarbeitet haben. Doch dieses Modell wird von der medizinischen Forschung tagtäglich in Frage gestellt. Je besser wir unsere eigene Biochemie verstehen, desto mehr scheint die These vom sozialen Menschen an Kraft zu verlieren. Unser Äußeres, unsere Krankheiten, womöglich sogar die Partnerwahl werden durch die Gene zumindest mitbestimmt. Die Frage: Woher komme ich, oder: Warum bin ich so, wie ich bin, scheint sich immer schlechter ohne die Kenntnis der genetischen Herkunft vollständig beantworten zu lassen. Vielleicht ist es dieses Gefühl einer vagen Unvollständigkeit, das Sarah P. wie viele adoptierte Kinder aus noch so glücklichen Familien dazu treibt, ihren leiblichen Eltern nachzuforschen.

Von daher ist es richtig, dass Gerichte die Freiheit zu wissen stärken. Doch es ist ebenso wichtig, die Freiheit zu garantieren, die eigene Herkunft zu ignorieren, zu überwinden. Präzedenzfälle dafür sind weit schwieriger zu konstruieren. Und doch gehört auch das zu jener Entfaltungsfreiheit, die die Gerichte immer wieder betonen: Ein Ich jenseits der Gene.

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