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Meinung: Viel Huhn – wenig dran

Der Bericht der UN-Inspekteure zeigt: Saddam schwindelt. Bush und Blair tun es vielleicht auch

Von Alexander S. Kekulé

WAS WISSEN SCHAFFT

Die Berichte der Waffeninspekteure zeigen, dass Saddam nicht die volle Wahrheit gesagt hat. Teilweise, etwa bei der Zahl seiner chemischen Gefechtsköpfe, hat er sogar falsche Angaben gemacht – aus Versehen, wie der Irak beteuert. Daneben förderten die UNKontrollen jedoch noch eine zweite Wahrheit zu Tage, die für die Befürworter einer Militäraktion ein Schlag ins Gesicht sein muss: Sie widerlegen die amerikanischen und britischen Berichte über angebliche Massenvernichtungswaffen in fast allen Punkten.

Am weitesten aus dem Fenster gelehnt hatte sich der britische Premierminister. Das im September mit großer Inszenierung vorgestellte „Blair-Dossier“ nannte zahlreiche angebliche Produktionsanlagen für biologische Kampfstoffe, das Regime könne chemische und biologische Waffen „innerhalb von 45 Minuten“ einsetzen. Anfang Oktober legte der US-Geheimdienst CIA nach: Der Irak habe „versteckte Biowaffenkapazitäten im Großmaßstab“. Auch würden Satellitenbilder beweisen, dass der Irak mittels entsprechendem Spaltmaterial innerhalb eines Jahres eine Atombombe herstellen könne.

Der Versuch der UN-Inspekteure, die Geheimdienstberichte zu verifizieren, war nicht erfolgreich. Von einer nicht genannten westlichen Regierung kam der heiße Tipp, in einem verlassenen Bauernhof südlich von Bagdad seien Scud-Raketen versteckt. Als ein Trupp Blaumützen letzten Monat in die ländliche Idylle einfiel, fanden sie die stinkenden Reste einer aufgegebenen Hühnerfarm. Die verrotte Ziegelbaracke, die sie Meter für Meter durchkämmten, erwies sich als viel zu klein für die Raketen. Wenig später wühlten sich die Inspekteure wieder mit ihren Bodenradargeräten durch Hühnermist, weil nach Geheimdiensthinweisen auf einer anderen Farm biologische Kampfstoffe gelagert worden sein sollten – wieder ohne Ergebnis. Bei insgesamt 439 Inspektionen an 245 Orten gelang es den Kontrolleuren in keinem Fall, die Informationen über Massenvernichtungswaffen zu bestätigen. Insbesondere für das angebliche Atomprogramm fanden sich – trotz intensiver Suche nach radioaktiven Spuren – keine Hinweise. Auch die Aluminiumrohre, die Präsident Bush im Oktober noch als Hauptbeweisstücke präsentierte, sind nach Erkenntnis der Inspekteure für die Urananreicherung nicht geeignet. Was übrig bleibt, ist ein diffuses Unbehagen. Etwa, weil in der vom Irak vorgelegten Bilanz nach wie vor 650 Kilo Nährmedien fehlen. Aus dieser relativ kleinen Menge – etwa der Jahresbedarf eines Forschungsinstituts – ließe sich reichlich Anthrax für Terroranschläge herstellen. Die Nährmedien könnten aber auch für zivile Zwecke verbraucht worden oder verloren gegangen sein. Ungeklärt ist auch die Existenz biologischer Labore auf Lastwagen, von denen ein dubioser Überläufer der Zeitschrift „Vanity Fair“ erzählt hatte. Ohne die „geheimdienstlichen Beweise“, die Tony Blair angeblich besitzt, sind sie nicht aufzuspüren. Schließlich passen die verschiedenen Auskünfte des Irak über Reinheit und Stabilität des ehemals produzierten Nervengases VX nicht zusammen. Ob das ein Versehen oder die Spitze eines versteckten Eisberges ist, können die UN-Kontrolleure alleine nicht herausfinden.

Bush und Blair müssen jetzt den Inspekteuren alle Geheiminformationen vollständig zugänglich machen, auch die bisher angeblich zurückgehaltenen – im Dienste ihrer eigenen Glaubwürdigkeit.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Halle-Wittenberg. Foto: Jacqueline Peyer

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