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Hermsdorf: Vorsicht, Therapie!

Der Tod zweier Patienten während einer Psychotherapie verlangt nach Aufklärung durch Kasse und Kammer.

Von Caroline Fetscher

Das Unbewusste seiner Patienten, heißt es, habe der Berliner Arzt zutage fördern wollen, nach dessen „Psychotherapie“ am Wochenende zwei Patienten starben. Ans Licht gekommen zu sein scheint eher das Unbewusste eines Mannes, der gern Herrscher und Heiler spielt.

Ob beim Arzt oder Heilpraktiker, Diplompsychologen oder „Heiler“ – da draußen herrscht zunehmend ein wilder Markt, ein grauer, ein ethisch unregulierter. Von den Risiken und Nebenwirkungen, wie sie auf jeder Packungsbeilage für Medikamente zu studieren sind, erfahren Psychotherapie-Patienten wenig bis nichts. An die Interna der intimen Beziehung zwischen Therapeut und Patient dürfe keine Krankenkasse rühren und kein Kodex, hieß es lange, und das Dekret gilt großenteils bis heute. Sogar die Königsdisziplin der Therapien, die Psychoanalyse, verabschiedete erst im November 2003 einen Kodex zur Berufsethik.

Angelegt ist die Gefährdung der Patienten im extremen Machtgefälle zwischen Psychotherapeut und Klient, erklärt der Arzt Glen O. Gabbard, Mitherausgeber des „American Journal of Psychiatry“ und international führender Experte beim Thema Grenzverletzungen und Missbrauch durch Therapeuten und Analytiker. Indem er sein Inneres preisgibt, macht sich ein Patient der Psychotherapie ungewöhnlich verletzbar. Oft kommt es dabei vorübergehend zur Regression in frühe Verhaltensmuster, die emotionale Abhängigkeit befördert. Der Behandler wird als „frühe Autorität“ akzeptiert. Beginnt er, sich für die Autorität zu halten, als die er gesehen wird, anstatt die Dynamik erhellend zu deuten, beutet er die Situation und damit den Klienten aus und entmündigt ihn.

Bis vor wenigen Jahren wurden die kriminellen Fälle sexueller Übergriffe in der Psychotherapie komplett vertuscht. Statistisch kaum erfasst sind die Fälle, in denen die gut bezahlten Praktiker durch Manipulationen, Projektionen und Aggressionen Patienten zu ihren Opfern machen. Inzwischen haben einige Therapeutenkammern Ombudsleute für Patienten bestellt, Schlichtungskommissionen und Beschwerdestellen wurden eingerichtet. Doch mit dem Thema Therapie und Missbrauch tut man sich hierzulande noch immer schwer. Selten gehört Lektüre wie Gabbard zur Ausbildung, oft glauben Patienten, sie seien Verräter, wenn sie Zweifel am Therapeuten äußern.

Als erste Maßnahme wider den Missstand müssten die Kassen den Patienten einen Handzettel mitgeben, der klar darlegt, was in einer Psychotherapie geschehen darf und was nicht. Patienten haben das Recht zu wissen, dass etwa physische Übergriffe, Privatkontakte, das Verabreichen unbekannter Arzneimittel keinesfalls zu einer Therapie gehören. Sie müssen auch genau erfahren, dass und wo sie sich beschweren können – denn die professionelle Schweigepflicht liegt beim Behandler, niemals beim Patienten. Der mündige Patient muss reden dürfen. Das kann viel Zeit, Geld und Leid sparen – oder sogar sein Leben retten.

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