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Touchè. Kollision zwischen Radfahrer und Autofahrer in der Joachim-Friedrich-Straße im Bezirk Wilmersdorf. Der Radfahrer fuhr auf dem grünen Radstreifen. Das Auto ist von links nach rechts gezogen und hat den Radfahrer nicht gesehen.

© Stefan Zeitz/Imago

Vorstoß der Berliner Polizeipräsidentin: Kennzeichen für Fahrräder? Damit werden die Falschen in die Pflicht genommen

Polizeipräsidentin Barbara Slowik schlägt Nummernschilder für Fahrräder vor. Stattdessen sollte ihre Behörde lieber mal ihre Arbeit machen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hendrik Lehmann

In Deutschland gilt ein klares Gesetz der Straße: das des Stärkeren. Erst kommen die LKW, dann schnelle Luxuskutschen, worauf Mittelklassewagen, ältere Schrottkisten, Motorräder und Mofas folgen. Erst danach folgen Fahrräder und dann die endgültig Entrechteten der Straße: Fußgänger, Fußgängerinnen, Menschen mit Kinderwagen oder Rollator und Ältere am Stock.

In den letzten Jahren erlebt die altbewährte Hackordnung Turbulenzen. Inzwischen sind in Berlin ungefähr so viele Menschen mit dem Fahrrad unterwegs wie mit dem Auto. Weil es immer mehr werden, die Radwege allerdings kaum, zwängen sich immer mehr Fahrräder auf denselben Raum – seit der Coronakrise ist die Tendenz noch einmal steigend. Die wenigen Alibi-Popup-Radwege können das nicht auffangen.

Eine Infrastruktur der Angst

Die Menschen auf dem Fahrrad sind so vielfältig wie Berlin. Manche haben es eilig, manche haben kleine Kinder dabei und manche haben schlechte Laune. Viele fühlen sich im Recht, weil sie auch für Autofahrer das Klima retten.

Die meisten Radwege haben aber nur eine Spur, wenn es überhaupt einen gibt. Also weichen besonders Ängstliche oder Eilige auf den Gehweg aus. Die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik hat deswegen einen alten Vorschlag wieder rausgeholt: Die Kennzeichnungspflicht für Fahrräder.

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Das Fehlverhalten auf dem Fahrrad hat aber Gründe. Wer Leute einsperrt muss mit Ausbrüchen rechnen. Das gilt auch für enge Radwege. Man muss nur in den sozialen Medien mitlesen, Hashtag #motorisierteGewalt: Für viele ist es eine Gewalterfahrung, mit dem Rad unterwegs zu sein. Sie haben schlicht Angst, bei einem Zusammenstoß mit einem Auto zu verunglücken

Also weichen einige auf den Gehweg aus und der Raum für die Nächst-Schwächeren wird eng: die Fußgänger, die auf dem Fußweg zwischen E-Scootern, Falschparkern und Fahrrädern Slalom laufen.

Der Radverkehr als Buhmann für das Versagen der Polizei

Es wäre die Aufgabe der Polizeipräsidentin, diese Hackordnung außer Kraft zu setzen: indem Radwege freigeräumt und Falschparker sanktioniert werden. Doch nun sollen die Radfahrenden sanktioniert werden, die in der Hackordnung dazwischen stecken.

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Aber was sollen dann die angerempelten Rollatorfahrer sagen? Eine Kennzeichnungspflicht für junge Fußgänger fordern? Und wenn Nummernschilder Unfälle verhindern, warum verursachen Autos dann so viele?

Der Vorschlag lenkt von einem ernsten Problem ab. Die Polizei, deren Aufgabe es eigentlich ist, Gewalt zu verhindern und verwundbare Gruppen zu schützen, hat seit Jahren völlig versagt, wenn es darum geht, den Rad- und Fußverkehr zu schützen.

Ihre Entschuldigung dafür nennt sie „Schwerpunktkontrollen“. Unter vielen Radfahrenden gilt sie daher als Zwei-Klassen-Polizei, die keine zugeparkten Radwege freiräumt, sondern eher selbst darauf parkt. Inzwischen filmen und veröffentlichen Radfahrer dieses Fehlverhalten sogar – oft ohne eine Stellungnahme der Ordnungshüter zu bekommen.

Die Unfallzahlen widersprechen dem Vorschlag

Eine sinnvolle Einordnung liefert der nüchterne Blick auf die Unfallstatistik der Berliner Polizei: 147306 Verkehrsunfälle gab es 2019. An 75 Prozent davon waren PKW beteiligt, an 10 Prozent LKW. Nur an 3,9 Prozent der Unfälle waren Fahrräder beteiligt.

Slowik führt als Argument für die Kennzeichnungspflicht von Fahrrädern unter anderem an, dass 52 Prozent der Fahrradunfälle von den Radfahrenden selbst verursacht werden. Aber es gab insgesamt nur 7854 Unfälle mit Radfahren.

Und da sind 448 „Alleinunfälle“ enthalten, an denen gar keine zweite Person beteiligt war. Das zeigt sich auch in der Zahl der Verletzten. Die Zahl der Schwerverletzten bei Unfällen zwischen Fahrrädern und Fußgängern lag 2019 bei 43 Personen, die zwischen Autos und Fußgängern bei 385. [Alle Unfälle mit Verletzten in Berlin auf einer Karte finden Sie in unserer grafischen Auswertung der Unfallzahlen 2019].

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Angesichts dieser Zahlen erschließt sich die Dringlichkeit von Kennzeichen für Fahrräder nicht. Und diese müsste ja auch umgesetzt werden. Slowiks Behörde bekommt es nicht hin, Falschparker oder rasende SUVs von der Kantstraße oder der Sonnenallee zu räumen.

Dieselbe Polizei soll dann noch über eine Millionen Fahrräder kontrollieren? Und welches Fehlverhalten kann sie dadurch besser verfolgen? Geschwindigkeitsüberschreitungen sind wohl kaum das Problem des Fahrradverkehrs in der Hauptstadt. Auch von Toten bei illegalen Fahrradrennen hat man selten gehört.

Aber die Zulassungsbehörden in Berlin haben derzeit schon Probleme, überhaupt KFZ-Zulassungen zeitnahe hinzubekommen. Sie müssten dann auch noch Fahrräder zulassen. Beruhigenderweise ist es daher ausgesprochen unwahrscheinlich, dass Slowiks Vorschlag Wirklichkeit wird.

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