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Meinung: Wähler im Wechsel

Von Christoph von Marschall

Traurige Nachrichten für BushGegner, und das ist die Mehrheit in Deutschland und Europa: Wer sich an Umfragewerten und Erfahrung orientiert, muss wohl zu dem Schluss kommen, dass die Präsidentenwahl gelaufen ist – gegen Kerry. Die Erfahrung besagt: Ein demokratischer Herausforderer muss beim Nominierungsparteitag einen „bounce“ erzielen, sprich: kräftig in den Umfragen zulegen und deutlich über 50 Prozent steigen, um zu gewinnen. Bill Clinton schaffte vor zwölf Jahren 16 Prozentpunkte Plus. Kerry ist das nicht gelungen. In den Umfragen liegt er jetzt um die 48, 49 Prozent, für die einen Institute gleichauf mit Bush, für andere leicht vor Bush. Das große Erweckungserlebnis hat der Parteitag in Boston nicht gebracht. Schlimmer noch: In den Augen von CNN und Gallup ist Kerry sogar zurückgefallen und Bush konnte Boden gut machen – in einer Woche, die doch Kerrys Woche werden sollte. In den letzten drei Jahrzehnten stand kein Kandidat nach dem Parteitag so schlecht da wie Kerry. Es sieht also gar nicht gut aus für die Demokraten.

Aber wer sagt denn, dass Erfahrung und Umfragen heute noch die gleiche Gesetzmäßigkeit haben? Dies ist die erste Präsidentenwahl nach dem 11. September 2001; der Schock über die Anschläge hat vieles durcheinander gewirbelt und alte Gewissheiten infrage gestellt. Vor allem aber hat die Debatte über die Anti- Terror-Politik die amerikanische Gesellschaft polarisiert. Die Gruppe der nicht festgelegten Wechselwähler, die sich durch Parteitage beeinflussen lassen, ist viel kleiner geworden. Auch das könnte erklären, warum Kerry kein „bounce“ in den Umfragen gelang. Was nicht automatisch heißt, dass der Parteitag nutzlos war. 45 Prozent der Befragten geben an, dass sie nun mit höherer Wahrscheinlichkeit Kerry wählen. In der landesweiten Beurteilung seiner Bewerbungsrede schnitt der Demokrat besser ab als George W. Bush im Sommer vor vier Jahren.

Kerry-Fans dürfen noch hoffen. Gegen den Erfahrungswert von der vertanen Siegchance steht die These von der außergewöhnlichen Polarisierung und den neuen Gesetzmäßigkeiten. Eine Antwort wird schon bald der Parteitag der Republikaner geben. Gelingt auch Bush kein „bounce“, ist das Rennen wieder offen.

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