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Meinung: Wäre ein soziales Pflichtjahr sinnvoll?

Zur Debatte über ein soziales Pflichtjahr für alle, wenn die Wehrpflicht ausgesetzt werden sollte Es war überfällig, dass das „Pflichtjahr für alle“, für alle jungen Menschen, männlich wie weiblich, öffentlich in die Diskussion um Wehrpflicht und Zivildienst gebracht wird. Sicherlich gilt der Begriff „Pflichtjahr“ als historisch belastet, man muss ihn ja heute nicht mehr verwenden.

Zur Debatte über ein soziales Pflichtjahr für alle, wenn die Wehrpflicht ausgesetzt werden sollte

Es war überfällig, dass das „Pflichtjahr für alle“, für alle jungen Menschen, männlich wie weiblich, öffentlich in die Diskussion um Wehrpflicht und Zivildienst gebracht wird. Sicherlich gilt der Begriff „Pflichtjahr“ als historisch belastet, man muss ihn ja heute nicht mehr verwenden. Jahrzehnte sind ins Land gegangen. „Gemeinschaftsdienst“ als Bürgerpflicht, als Dienst an der Gemeinschaft, ein Jahr lang, von der Altenpflege über Entwicklungsdienst, Tätigkeiten für Natur und Umwelt bis hin zum Wehrdienst - auch ein Jahr lang - das wäre, wie Sie sehr richtig schreiben, eine „Schule der Verantwortung“.

Sie sollten das Thema weiter verfolgen. Ich rechne mit breiter Zustimmung in der Öffentlichkeit. Und wer in diesem Zusammenhang von „Reichsarbeitsdienst“ polemisiert, sollte selbst in der Mottenkiste der Geschichte verschwinden. Derartige Vergleiche sind im Jahr 2010 lächerlich.

Horst Meyer, Berlin-Lichterfelde

Mein Sohn absolviert ab 1. September ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ). Dies aus eigenem Antrieb ohne Druck der Eltern. Er wird eventuell Nachteile haben, was seine zukünftige Studienplatzbewerbung betrifft (Wartefristen etc.). Dennoch,er macht es. Warum werden verantwortungsbewusste Jugendliche so behandelt? Eine rechtliche Grundlage halte ich für unabdinglich.

Dr. Karl-Walter Beise, Berlin-Steglitz

Sehr geehrter Herr Meyer,

sehr geehrter Herr Dr. Beise,

in der Tat spricht auf den ersten Blick vieles für ein soziales Pflichtjahr. Die Probleme mit dem möglicherweise bald wegfallenden Zivildienst wären gelöst. Die Gleichbehandlung aller wäre – zumindest auf den ersten Blick – gewährleistet. Und schaden können den jungen Menschen soziale Erfahrungen ganz bestimmt nicht. Und doch: Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass der Vorschlag zur Einführung eines sozialen Pflichtjahres, wie ihn nun die Landesministerpräsidenten von Hessen und dem Saarland, Roland Koch und Peter Müller, in die Runde geworfen haben, reine Theorie ist. Und beide müssten es eigentlich wissen.

Das Grundgesetz stellt zu Recht außerordentlich hohe Hürden auf, wenn es darum geht, dass Bürgerinnen und Bürger mit staatlichen Zwangsdiensten konfrontiert werden sollen. Lediglich die Notwendigkeit der Landesverteidigung rechtfertigt nach dem Grundgesetz die Wehrpflicht und nur die Wehrpflicht rechtfertigt den sozialen Zivildienst. Für einen allgemeinen Pflichtdienst wäre also die Änderung der einschlägigen Artikel des Grundgesetzes notwendig. Das (Kräfte-)Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Bürgerinnen und Bürgern würde sehr grundsätzlich berührt. Der Staat würde massiv in die freie Berufswahl und die Lebensplanung der Einzelnen eingreifen.

Gut, kann man sagen, das tut er bei der Landesverteidigung auch. Aber wer würde bei einem solchen Dammbruch die Grenzen ziehen? Billige Arbeitskräfte wecken bei klammen Kassen Begehrlichkeiten, kann der Staat erst einmal über seine Bürger verfügen. Warum lediglich ein soziales oder ein ökologisches Pflichtjahr? Und warum nur ein Jahr, warum nicht zwei Jahre Pflichtdienst? So wie es politisch gerade opportun erscheint? Und warum sollte der Pflichtdienst nur für junge Menschen gelten? Man könnte ihn doch auch mit dem Bezug von Hartz-IV-Leistungen koppeln. Solche und andere Vorschläge kämen wie das Amen in der Kirche, würde der grundgesetzliche Riegel erst einmal weggeschoben.

Der Schutz des Bürgers vor ungeziemenden Eingriffen des Staates in seine Lebensplanung und Lebensführung sind ein hohes politisches Gut, das zu recht Verfassungsrang hat. Hieran zu rütteln will sehr wohl überlegt sein. Und so ist es auch nur gut, dass es für eine solche Grundgesetzänderung aktuell keine schnelle parlamentarische Mehrheit gibt. Es gibt grundsätzlich überhaupt nichts gegen Pflichten und einen verpflichtenden sozialen Einsatz einzuwenden. Doch muss er gut begründet sein. Er muss nicht nur für die Gemeinschaft, sondern auch für den einzelnen einen Sinn ergeben. Er muss sich in die individuelle Biografie und Lebensplanung sinnvoll einfügen. So wäre es nur vernünftig, von allen, die Berufe erlernen möchten, in denen sie später mit Menschen zu tun haben, berufs- oder studienvorbereitende soziale Praktika zu verlangen. Seien es Lehrer, Mediziner oder Sozialpädagogen. Es geht um zigtausende, die in der Phase ihrer Berufswahl oder Ausbildung zwingend solche Phasen benötigten. Hier macht Pflicht Sinn, für die Auszubildenden, für die ihnen später anvertrauten Menschen und für die Gemeinschaft.

Für alle anderen aber sollten wir weiter auf Freiwilligkeit setzen. Wir brauchen in den Pflegeheimen, Kindergärten oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderung hochmotivierte junge Leute mit echtem Interesse an ihrer Arbeit und den Menschen. Nur dann wird der Einsatz auch der sozialen Verantwortung gerecht werden können, die wir für die häufig hilfebedürftigen Menschen in den Einrichtungen haben.

Mit freundlichen Grüßen

— Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer

des Paritätischen Gesamtverbands

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