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Meinung: Waffen zu Kröten

Der Frieden in Nordirland hängt nun an der Haltung der IRA zum Rechtsstaat

Der Wortlaut der gestrigen IRA-Erklärung erfüllt hohe Erwartungen. Eine Organisation, die sich als die einzige legitime Regierung auf der Insel Irland versteht, erklärt ihre Existenz als paramilitärische Organisation für beendet. „Der bewaffnete Kampf war legitim. Wir sind uns bewusst, dass viele Leute im Konflikt gelitten haben.“ Das war alles, was die IRA zu ihren Opfern zu sagen hatte. Allein, wenn sie sich, wie es angebracht wäre, zerknirscht bei ihren Opfern entschuldigt hätte, hätte sie ihre eigene Legitimation grundsätzlich infrage gestellt. Und das wiederum müsste postwendend zur Abspaltung der Romantiker und der Betonköpfe führen, woran derzeit niemand ein Interesse haben kann.

Die Waffen der IRA, die seit Jahren den politischen Prozess blockiert haben, sollen nun entsorgt werden. Da wir nie wussten, wie groß die Arsenale ursprünglich waren, werden wir auch nie mit Gewissheit sagen können, dass alle Waffen vernichtet worden sind. Das Seilziehen um Waffen war wohl von Anfang an eine untaugliche Methode, die IRA zu domestizieren. Neue Gewehre und neuer Sprengstoff sind leicht zu beschaffen: Es geht um die langfristigen Absichten der IRA, und diese können letztlich nur an ihren Taten gemessen werden. Deshalb wollen jetzt alle mal abwarten. Es wird Monate dauern, bis die Internationale Entwaffnungskommission nicht nur die Verschrottung der Waffen bestätigt hat – das kann schon in den nächsten Tagen geschehen –, sondern ebenfalls bestätigt, dass die IRA aufgehört hat, „ihre“ Viertel mit ihrer Willkürjustiz zu terrorisieren, neue Mitglieder zu rekrutieren, Raubüberfälle zu verüben und dergleichen mehr.

„Der Krieg ist vorbei“, sagte der irische Premierminister Bertie Ahern hoffnungsvoll. Aber die IRA wird als einflussreicher Veteranenverband fortbestehen. Die totalitären, heilsbringenden Überzeugungen ihrer Mitglieder verschwinden nicht über Nacht. Dass die IRA der britischen Regierung eine Vorleistung für die gestrige Erklärung abtrotzen konnte, stimmt nicht eben zuversichtlich. Die vorzeitige Entlassung des Bombenlegers Sean Kelly, der 1993 neun unbeteiligte Protestanten und seinen Mittäter in einem Fischladen in die Luft gesprengt hatte, war offenbar eine Voraussetzung für die Absichtserklärung der IRA.

Seit dem letzten gescheiterten Versuch eines politischen Durchbruchs vor knapp acht Monaten hat selbst die IRA begriffen, dass sie als Vorleistung von der Bühne abtreten muss, bevor der politische Dialog Aussichten auf Erfolg hat. Die Empörung über den Belfaster Bankraub im vergangenen Dezember und die schmähliche Ermordung von Robert McCartney im Januar haben den Druck auf die IRA erhöht, Farbe zu bekennen. Die lauernde Drohung einer Privatarmee hat letztlich ihren politischen Flügel, Sinn Féin, daran gehindert, politisch ernst genommen zu werden.

Die kommenden Monate werden Klarheit bringen. Die Nagelprobe liegt letztlich nicht in rostenden Waffen, sondern in der vorbehaltlosen Unterstützung Sinn Féins und des neuen Veteranenverbandes namens IRA für die nordirische Polizei. Erst dann ist der Krieg vorbei. Sobald sich eine Gesellschaft darauf geeinigt hat, wie sie verbindliche Rechtsnormen in die Tat umsetzt, hat sie sich auch ein gemeinsames Grundverständnis über die Legitimität ihres Staatswesens und die gröbsten Regeln des Zusammenlebens angeeignet. Das fehlte Nordirland bisher.

Jetzt gibt es neue Gründe, Hoffnungen zu schöpfen, denn letztlich wollen sowohl Gerry Adams, der Chef der Sinn Féin-Partei, als auch Pfarrer Ian Paisley, der greise Vorsitzende der inzwischen größten Protestantenpartei, Nordirland selbst verwalten. Sie haben inzwischen begriffen, dass sie das nur gemeinsam tun können. Also werden reihum im ureigensten Interesse Kröten geschluckt. Wir werden erst mit der Zeit herausfinden, ob sie dieser Tätigkeit aus Überzeugung oder aus Opportunismus nachgehen.

Martin Alioth

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