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Meinung: „Warum denn in die Ferne schweifen“

Immer im Sommer bereist der hessische Ministerpräsident ein paar Tage lang sein Land, und jedes Mal steht die Tour unter einem Motto. Der Spruch dieses Sommers galt vordergründig dem Thema „Tourismus in Hessen“.

Von Robert Birnbaum

Immer im Sommer bereist der hessische Ministerpräsident ein paar Tage lang sein Land, und jedes Mal steht die Tour unter einem Motto. Der Spruch dieses Sommers galt vordergründig dem Thema „Tourismus in Hessen“. Aber man kann das Lob des Guten, das so nah liegt, durchaus im weiteren Sinne politisch deuten. Seit Angela Merkel nach dem Kanzleramt strebte, galt Roland Koch als ihr schärfster innerparteilicher Konkurrent. Spätestens seit dem Wahlabend des 18. September, der gut und gerne Merkels Ende hätte bedeuten können, gilt Koch als ihr bescheidener stärkster Helfer.

Eine Wandlung, die nur auf den ersten Blick überrascht. Tatsächlich hat Koch schon deutlich früher für sich beschlossen, dass die Rolle des bösen Buben auf Dauer ins Abseits führt. Als Katalysator scheint jener Abend im Konrad-Adenauer-Haus gewirkt zu haben, an dem Koch in offener Feldschlacht versuchte, Wolfgang Schäuble als Bundespräsidenten durchzusetzen und Horst Köhler zu verhindern. Die Schlacht ging bekanntlich verloren – Koch fand keine Verbündeten, auch die CSU machte sich aus dem Staub. Es war seine letzte öffentliche Frontstellung gegen die Bundesvorsitzende.

Seither hat sich Koch wieder auf eine Rolle besonnen, die er schon einmal im Gefüge der CDU gespielt hatte, bevor er immer mehr zu Merkels Antipoden geworden war: die Stimme des christdemokratischen gesunden Menschenverstands. Kein anderer aus seiner Generation kann mit so knappen Sätzen Positionen formulieren, in denen sich die große Mehrheit der CDU richtig verstanden fühlt. Kein anderer schafft den Spagat zwischen inhaltlicher Modernisierung und Verankerung in der Tradition so ohne Verbiegung. Kein anderer hätte sich nach beendeter Tätigkeit als Chef-Finanzunterhändler der großen Koalition so selbstverständlich auf praktische Vaterlandsliebe als Rechtfertigung für das Bündnis berufen können: „Eine Partei, die Patriotismus ernst meint, hat kein Recht, sich in die Büsche wegzuschlagen.“ Er hat sich nicht weggeschlagen. Dass er den SPD-Gegenpart Peer Steinbrück kennt und schätzt, hat es ihm sicher einfacher gemacht.

Nun ist Einsatz für das Land ohne Zweifel ein edles Motiv. Aber Koch wäre kein Politiker, dächte er nicht trotzdem auch ein bisschen an sich selbst. Tatsächlich lässt sich der Wandel vom Konkurrenten zum Loyalen ja ebenfalls nur vollständig verstehen, wenn man gewisse Gewichtsverschiebungen in der Partei berücksichtigt, die zu Kochs Lasten gingen. Galt der starke Mann aus Wiesbaden lange als einzig ernst zu nehmender Herausforderer Merkels, ist mittlerweile mit dem Niedersachsen Christian Wulff ein zweiter potenzieller Widersacher entstanden. Wulff hat es geschickt verstanden, sich als der nette Mensch von Hannover an die Spitze der demoskopischen Beliebtheitsskalen zu manövrieren – als Typ sowohl das Gegenmodell zur nüchternen Machtfrau Merkel als auch zum Gesinnungssoldaten Koch. Auf einmal war es Wulff, der kokett jede Ambition aufs Kanzleramt von sich weisen durfte.

Kochs Gegenzug führte an Merkels Seite. Das nütze ihnen beiden, hat er selbst angemerkt. Was bis auf weiteres weiter gilt. An ihm soll es nicht scheitern, dass die Kanzlerin Erfolg hat – aber an ihm auch nicht liegen, sollte der Erfolg auf sich warten lassen. Warum soll er in die Ferne schweifen? Koch kann bleiben, wo er ist: fern von Berlin und nah genug zugleich.

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