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Was Wissen schafft: Blind aus der Krise

Die Chancen, dass beim Bildungsgipfel das dringend benötigte, milliardenschwere Rettungspaket für Kindertagesstätten, Schulen und Universitäten herauskommt, sind gleich Null. Denn die Krise macht uns kurzsichtig.

In der Not hört beim Menschen das Denken auf. Im Schock aktiviert er archaische Überlebensreflexe, die von weit unterhalb der Hirnrinde kommen. Der Organismus verbrennt seine Energiereserven, ohne Rücksicht auf die Zukunft. Weil sich bei Stress die Pupillen weiten, wird der Mensch kurzsichtig wie ein Maulwurf.

Am heutigen Mittwoch trifft sich eine von der Finanzkrise zutiefst geschockte Runde zum Bildungsgipfel. Die Chancen, dass dabei das dringend benötigte, milliardenschwere Rettungspaket für Kindertagesstätten, Schulen und Universitäten herauskommt, sind jedoch gleich Null.

Die Krise macht kurzsichtig, langfristige Ziele verschwinden aus dem Blickfeld. Der Abbau der Staatsverschuldung ist seit dem 500-Milliarden-Paket für die Finanzwirtschaft auf absehbare Zeit Illusion geworden, kommende Generationen drohen unter dem Schuldenberg zu ersticken. Angesichts der Wirtschaftskrise rebellieren diverse Mitgliedsstaaten gegen die EU-Klimaziele, die eigentlich bis Dezember beschlossen werden sollten. Wenn die Staaten in der Krise sind, stehen die Aktien schlecht für Investitionen in die Zukunft.

Dabei wäre das Geld für Bildung besser angelegt als in jedem Future-Fonds. Eine gerade veröffentlichte McKinsey-Studie im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung rechnet vor, dass in Deutschland jährlich 50 Milliarden Euro für Kindertagesstätten, Schulen, betriebliche Ausbildung und Universitäten fehlen. Werden diese nicht investiert, liegt der volkswirtschaftliche Schaden in den nächsten zwölf Jahren bei 1,2 Billionen Euro - also doppelt so hoch wie die Kosten. Nach Abzug der Einsparungen durch sinkende Geburtenzahlen ("demographische Rendite") und der auf Wirtschaft und Privatpersonen entfallenden Kosten hätte der Staat noch 13,5 Milliarden Euro jährlich zu berappen, das entspricht dem Volumen des Solidaritätszuschlages.

Im Gegensatz zu so manchem verschwendeten Soli-Euro und den Steuermilliarden für die Banken werfen Investitionen in die Bildung jedoch erkleckliche Gewinne ab. Das für frühkindliche Förderung ausgegebene Geld etwa verzinst sich für die öffentliche Hand mit acht und für die Volkswirtschaft mit zwölf Prozent - da kann derzeit kein Sparkonto und keine Dax-Aktie mithalten.

Angesichts der dramatischen Veränderungen der globalisierten Wirtschaft - für die die Finanzkrise nur ein Vorbote ist - muss Deutschland eine neue, wettbewerbsfähige Rolle für sich definieren. Arbeitsplätze mit einfachen und repetitiven Tätigkeiten werden in Schwellenländer verlegt oder von Maschinen übernommen. Wegen der demographischen Überalterung und des Geburtenrückgangs müssen immer weniger Menschen immer mehr erwirtschaften. Da das Potenzial für Rationalisierungen in den letzten Jahren weitgehend ausgereizt wurde, sind weitere Produktivitätssteigerungen nur durch vermehrte Innovationen erzielbar. Kurzum: Um in der Globalisierung zu überleben, braucht Deutschland vor allem ein herausragend gutes Bildungssystem - und eine neue Bildungskultur.

Dazu müssen natürlich die Universitäten besser ausgestattet und die Schulen reformiert werden (etwa bei der viel zu frühen, erbarmungslosen Selektion für das Gymnasium). Die Wurzel der deutschen Bildungsmisere, die auch in internationalen Vergleichen zutage tritt, liegt jedoch in der mangelhaften frühkindlichen Förderung. Die Neugier und der natürliche Ehrgeiz des Kleinkindes gehen bereits in frühen Jahren verloren. Deshalb lesen immer weniger junge Menschen Zeitung und Literatur, interessieren sich für Politik und die Welt und haben Spaß am Sich-Bilden. Um diese fatale Entwicklung aufzuhalten, muss vor allem das pädagogische Niveau der Kindertagesstätten in Deutschland erheblich gesteigert werden.

Eine drastische Erhöhung der Bildungsausgaben wäre die richtige Antwort auf die Finanzkrise und die anstehenden Veränderungen der Weltwirtschaft. Doch Angst macht auch Politiker leider blind wie Maulwürfe.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle.

Alexander S. Kekulé

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