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Was Wissen schafft: Operation Arche Noah

Die Malediver sparen für die Evakuierung - ihr Untergang wird von den Industrieländern als gegeben hingenommen.

Frisch gewählte Präsidenten haben es schwer in diesen Tagen. Während Barack Obama sorgenvoll auf die sinkenden Börsenkurse blickt, hat sein gerade eben vereidigter Amtskollege auf den Malediven ein noch größeres Problem vor Augen: Der Meeresspiegel vor dem Präsidentenpalast in Malé steigt und steigt.

Bereits unmittelbar nach seiner Wahl im Oktober verkündete der 41-jährige Mohamed Nasheed deshalb, wie er die Nation vor dem Untergang retten will. Ab sofort wird für die Evakuierung gespart. Ein durch Einnahmen aus dem Tourismus finanzierter Fonds soll sicherstellen, dass die knapp 400 000 Malediver anderswo trockenen Boden unter die Füße bekommen, wenn ihre Heimat demnächst im Ozean untertaucht. Mit dem Ersparten aus dem Fonds will "Anni", wie die Malediver den ehemaligen Bürgerrechtler nennen, Land in Sri Lanka oder Indien kaufen. Damit soll, so verspricht der Präsident, wenigstens die maledivische Kultur vor der Versenkung bewahrt werden.

Der Auszug ins gelobte Land könnte ziemlich bald anstehen. Die 1200 Kleinstinseln im Indischen Ozean, von denen rund 300 bewohnt sind, liegen weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel. Die um 200 vor Christus von singhalesischen Seefahrern entdeckten Malediven werden deshalb, darin sind sich Klimaexperten einig, demnächst wieder von der Landkarte verschwinden. Über das genaue Datum der Apokalypse wird noch trefflich gestritten: Der Weltklimarat sagte 2007 einen Anstieg des Meeresspiegels um bis zu 60 Zentimeter in diesem Jahrhundert voraus. Zwei umfangreiche, kürzlich in "Nature" und "Science" veröffentlichte Studien berechnen dagegen bis zum Jahr 2100 einen Anstieg um 0,8 bis 2,0 Meter.

Die Malediver ließen sich davon nicht die Feierstimmung verderben. In den ersten demokratischen Wahlen ihrer Geschichte haben sie sich endlich vom greisen Diktator Maumoon Gayoom befreit, der fast dreißig Jahre lang über das streng muslimische Inselreich herrschte. Die politischen Verfolgungen, Verbannungen und Folterungen aus dieser Zeit dürften nun ein Ende haben.

Der Untergang der Malediven ist beschlossene Sache

Ungewiss ist allerdings, ob auch die Umwelt von dem historischen Wechsel profitieren wird. Um sein Arche-Noah-Projekt zu finanzieren, will "Anni" alle Inseln für den Tourismus öffnen (bisher waren nur knapp 90 Resorts für Ausländer zugänglich). Die derzeit rund 600.000 Urlauber pro Jahr haben jedoch den Korallenriffen und dem Fischbestand bereits erheblich zugesetzt. Naturschutz existiert großenteils nur auf dem Papier. So wird bislang das Abschneiden von Haiflossen bei lebendigem Leibe ("Finning") im großen Stil geduldet - chinesische Händler zahlen mit guten Devisen, weil dort Haiflossensuppe als schicke Delikatesse gilt. Angesichts des ohnehin unvermeidbaren Untergangs droht auf den Atollen der Ausverkauf der letzten Ressourcen gemäß dem Motto: Nach uns die Sintflut.

Zynischerweise haben sich die Industrieländer darauf verständigt, die Klimaerwärmung nach Möglichkeit auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Der Untergang der Malediven - und anderer, teilweise dicht bevölkerter Regionen - ist damit beschlossene Sache. Da müsste es zumindest selbstverständlich sein, den Evakuierungsfonds der Insulaner zu unterstützen.

Im Gegenzug sollte "Anni" allerdings den Umweltschutz massiv vorantreiben. Darum kann sich in diesen Tagen kein frisch gewählter Präsident drücken, weder auf den Malediven noch in den USA.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle.

Alexander S. Kekulé

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