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Meinung: Was Wissen schafft: Schwimmende Zeitbomben

Die Bilder von Ölkatastrophen gleichen einander in erschreckender Weise: Seevögel verenden mit schwarz verklebtem Gefieder. Ganze Schwärme toter Fische werden an den Strand gespült.

Die Bilder von Ölkatastrophen gleichen einander in erschreckender Weise: Seevögel verenden mit schwarz verklebtem Gefieder. Ganze Schwärme toter Fische werden an den Strand gespült. Helfer waten hilflos im klebrigen Schlick und versuchen, die todbringende Ölmasse einzusammeln - mit Mistgabeln, Schaufeln und bloßen Händen.

Diesmal waren es 2 700 Tonnen Schweröl, die der Tanker "Baltic Carrier" vor der dänischen Ostseeküste verloren hat - eine vergleichsweise kleine Havarie. Bisherige Bilanz: Vierzehn Kilometer verseuchter Küstenstreifen, mindestens 2 500 verendete Vögel, Auswirkungen auf Fischbestände und Vegetation unbekannt. Das ist die trübe Bilanz.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätte man seit dem Unglück der "Amoco Cadiz" vor 22 Jahren nichts dazu gelernt - damals liefen vor der Bretagne 200 000 Tonnen Rohöl ins Meer und verdreckten 350 Kilometer Küste. Seitdem wurden weltweit fünfzehn weitere große Tankerunglücke registriert, hinzu kommen unzählige Lecks aus Pipelines und Förderanlagen. Und kürzlich im März sank vor Brasilien die größte Bohrinsel der Welt. "P-36". Um immer abgelegenere Ölvorkommen zu nutzen, wurden Pipelines, Supertanker und Fördertechnik bis an die Grenze des Machbaren ausgereizt - die brasilianische "P 36" bohrte 1 300 Meter unter dem Meeresspiegel noch einmal einige Tausend Meter tief in die Erde.

High- und low-tech

Im Gegensatz dazu ist die Technologie für die Beseitigung von ausgelaufenem Öl nach wie vor eher primitiv: Verseuchte Küstenstreifen von verklumptem Rohöl zu reinigen, ist zuallererst einmal ziemlich widerliche Handarbeit für ziemlich viele geduldige Helfer.

Nicht weniger frustrierend geht es zu, wenn ein Ölteppich auf offener See entfernt werden soll. Das naheliegende Anzünden und Abfackeln ("in-situ burning") ist nur mit einigen Ölsorten bei bestimmter Schichtdicke und Temperatur möglich. Wegen der Rauchentwicklung darf keine Küste in der Nähe sein. Hinzu kommt, dass die leicht brennbaren Bestandteile des Öls so schnell verdunsten, dass die schwarze Masse bereits einige Stunden nach der Havarie nicht mehr entflammbar ist.

Daher bleibt meist nur das mühsame Abschöpfen des Öls, das so genannte "Skimmen". Hierzu wird ein Förderband oder eine Drehscheibe durch das Wasser gezogen, an dessen "lipophiler" (fett anziehender) Oberfläche das Öl hängen bleibt. Da das Verfahren nur bei intaktem Ölfilm funktioniert, ist es schon bei mittlerem Seegang unbrauchbar. Alternativ kommen Vakuum-Skimmer zum Einsatz, die ähnlich wie Haushalts-Staubsauger funktionieren und auch genauso oft verstopfen. Wenn sich schließlich bei schwerer See der Ölteppich in eine aufgeschäumte Mousse verwandelt, sind alle Skimming-Verfahren am Ende: Sie fördern mehr Wasser als Öl.

Da die Beseitigung von ausgelaufenen Ölmassen nach wie vor Glückssache ist, wurden schon seit langem höhere Sicherheitsstandards für Bohrinseln und Tanker gefordert. Die Wende brachte 1989 das Unglück der "Exxon Valdez", bei dem sich 40 000 Tonnen Rohöl vor Alaska in den Prince-William-Sund ergossen, eines der letzten Naturparadiese Nordamerikas.

Die Regierung der Vereinigten Staaten reagierte mit dem "Oil Pollution Act" von 1990, der unter anderem strenge Auflagen für Öltanker enthält. Bis 2015 sollen alle Öltanker mit doppelter Hülle ausgerüstet sein, um Großkatastrophen wie die Havarie der "Exxon Valdez" möglichst unwahrscheinlich zu machen und die schwimmenden Zeitbomben zu entschärfen.

Manövrierfehler

Natürlich erfüllen Tanker unter Billig-Flaggen wie Liberia oder Belize die empfohlenen technischen Standards häufig nicht. Auch die Ausbildung der Mannschaft von Supertankern ist im internationalen Vergleich sehr unterschiedlich - eine einheitliche Regelung, etwa wie bei Flugpiloten, ist international nicht in Sicht. In engen oder viel befahrenen Seestraßen wie dem Ölhafen von Valdez werden daher die Tanker von Schleppern eskortiert, die jede Untiefe kennen und bei Manövrierfehlern sofort eingreifen können.

Die jüngste Kollision der "Baltic Carrier" mit einem Frachter ereignete sich in der Kadetrinne, mit jährlich 55 000 Schiffen eine der am stärksten befahrenen Seestraßen der Erde. Nach bisherigem Stand war die Ursache ein Manövrierfehler des unter deutscher Flagge laufenden, doppelwandigen Tankers. Wenn dies stimmt, hätte die Eskortierung durch einen Schlepper, wie sie etwa im Hafen von Valdez vorgeschrieben ist, den Unfall verhindert.

Alexander S. Kekulé

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