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Was Wissen schafft: Wein verlängert Leben

Warum ein Pharmakonzern an die Kraft der Traube glaubt.

Die Franzosen haben es schon immer gewusst: Wer lange leben will, muss Wein trinken. Besonders wenn er gut leben, also mächtig viel essen will. Gemeint ist natürlich Rotwein, das unumstrittene Lieblingsgetränk der Gallier. Dem vergorenen Traubensaft schreiben sie Wunderwirkungen zu, die an den Zaubertrank des Druiden Miraculix herankommen: Rotwein reinigt angeblich die Blutgefäße, steigert die Manneskraft und verlängert das Leben. Le vin, c’est la vie: Wein ist Leben.

Seriöse Wissenschaftler wollten allerdings an die Wunder des Weines nie so recht glauben. Zwar ist schon lange belegt, dass mäßiger Alkoholkonsum die Arterienverkalkung bremst. Alkohol verhindert das Verkleben der Blutplättchen, wodurch sich weniger Ablagerungen an den Gefäßwänden bilden. Pathologen wissen, dass die Arterien von Alkoholikern aussehen wie blankpoliert. Das könnte aber auch daran liegen, dass die vom Alkohol ruinierte Leber keine Gerinnungsfaktoren mehr produziert – die vermeintliche „Heilwirkung“ des Weingeistes wäre demnach nur Symptom einer schleichenden Vergiftung.

Die Wunderkraft des Rotweins wäre beinahe im Museum der medizinischen Mythen und Märchen gelandet – doch dann kam dieser unbeugsame Gallier aus einem kleinen Dorf im Bordeaux. Im November 1991 präsentierte der Internist Serge Renaud in der US-Fernsehsendung „60 Minutes“ seine Beobachtung, die als „French Paradox“ in die Medizingeschichte eingehen sollte: Franzosen, die sich kalorienreich und fett ernähren, leben deutlich länger als Vergleichsgruppen in den USA, Kanada und anderen Industrieländern. Der auf einem Weingut aufgewachsenen Renaud sah für die wundersame Lebensverlängerung nur eine Erklärung: Rotwein, bei dessen Konsum die Franzosen Weltmeister sind, senkt die Blutfette und schützt so vor Herzinfarkt und Schlaganfall.

Zur gleichen Zeit untersuchten ganz und gar ungallische Wissenschaftler am berühmten Massachusetts Institute of Technology (MIT) Hefezellen, die aufgrund eines genetischen Defekts viel älter werden als gewöhnlich. Dabei entdeckten die MIT-Forscher Lenny Guarente und David Sinclair 1997 ein Gen namens sir2, das in den Methusalem-Hefen die Alterung verzögert. Die von sir2 produzierten Enzyme, die „Sirtuine“, verhindern den bei der Alterung fortschreitenden Abbau der Erbinformation (DNA). Aktiviert werden Sirtuine normalerweise durch Nahrungsentzug: Um Hungerzeiten zu überstehen, fährt die Hefezelle den Stoffwechsel herunter und konserviert ihre DNA. Wie sich in der Folgezeit herausstellte, ist dieser Überlebensreflex der Grund für die länger bekannte Tatsache, dass kalorienarme Diät das Leben verlängert – bei Hefen genauso wie bei Mäusen, Affen und Menschen.

Damit eröffnete sich eine fantastisch anmutende Möglichkeit: Wenn man die Sirtuine auf anderem Wege stimulieren könnte als durch Hungern, würde der Mensch dann länger leben, auch wenn er schlemmt wie ein Gallier?

Wie in solchen Situationen in den USA üblich, gründeten Guarente und Sinclair sofort zwei Biotech-Firmen. Unter hunderten getesteten Substanzen fand sich bald eine mit herausragender Wirkung auf Sirtuine: Resveratrol, ein Inhaltsstoff des Rotweins – die These des eigenwilligen Galliers Renaud hatte plötzlich eine molekularbiologische Grundlage.

Vergangene Woche verlieh der Pharmariese GlaxoSmithKline (GSK) der Idee von der Heilkraft des Rotweins den letzten Ritterschlag: GSK kündigte die Übernahme von Sinclairs Firma Sirtis Pharmaceuticals an, für 720 Millionen Dollar. GSK erhofft sich von Resveratrol weiterentwickelte Medikamente, die durch Aktivierung der Sirtuine gegen Diabetes helfen, die Nebenwirkungen von Fettleibigkeit reduzieren und vielleicht sogar das Leben verlängern.

Resveratrol wurde übrigens schon 1963 im Knöterich entdeckt, der als „Ho-Shou-Wu“ in der traditionellen chinesischen Medizin seit 2700 Jahren gegen Altersbeschwerden angewendet wird. Ho-Shou-Wu bedeutet „Herr Ho hat schwarze Haare“: Der Überlieferung nach wurde der grauhaarige Greis Ho von Impotenz geheilt, bekam wieder schwarze Haare, zeugte zahlreiche Kinder und wurde 130 Jahre alt. Herr Ho nahm das Knöterichpulver täglich ein, und zwar – streng nach chinesischem Rezept – aufgelöst in einem Glas Rotwein. Le vin, c’est la vie – voilà!

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

Alexander S. Kekulé

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