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Meinung: Weitverbreitete Unzufriedenheit

Die Politik der schwarzen Eliten in Südafrika hat keine Verbesserung für die Bevölkerung gebracht.

Einen Monat nach dem gewaltsamen Tod von 44 Menschen auf der Platinmine von Marikana bleibt die Lage in Südafrika stark angespannt. Wie befürchtet, breiten sich die Streiks nun auch auf andere Minen, aber auch den Gold- und Bausektor aus. Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu, der Südafrika einst die Regenbogennation taufte, spricht ganz offen davon, dass die Kaprepublik ihren moralischen Kompass verloren habe – und Gewalt und Intoleranz das Land auseinanderrissen.

Immer größer werden auch die Sorgen um das bereits schwer ramponierte Investitionsklima. Sollten Unternehmen und Anleger als Reaktion auf die klassenkämpferischen und zunehmend antiweißen Parolen weniger im Land investieren, dürfte dies die allgemeine Unzufriedenheit schon deshalb anheizen, weil Südafrika dringend auf ausländisches Kapital angewiesen ist. Als Reaktion auf die Sorge vor Lieferengpässen aus Südafrika, das 80 Prozent allen Platins fördert, ist der Preis des Edelmetalls seit Mitte August bereits um fast 20 Prozent gestiegen.

Wenig hilfreich ist, dass der Streik auf der Platinmine auch nach vier Wochen unvermindert anhält und die Kumpel bei ihren (unerfüllbaren) Forderungen nun sogar nachlegen. Bereits jetzt ist absehbar, dass die betroffenen Unternehmen künftig stärker mechanisieren und dadurch viele Jobs abbauen werden. Offiziellen Zahlen zufolge hat bereits jetzt jeder vierte Südafrikaner keine Arbeit. Die tatsächliche Zahl dürfte aber weit höher liegen, weil sich viele Arbeitslose nicht bei den Behörden melden. Und eine Trendwende ist nirgendwo in Sicht.

Für den regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC) ist die Streikwelle sicherlich der härteste Test seit seiner Machtübernahme vor 18 Jahren. Sollte die frühere Widerstandsbewegung nun nicht endlich die ungezügelte Macht der Gewerkschaften beschneiden und durch ein härteres Vorgehen gegen Korruption, Kriminalität und Inkompetenz neues Zutrauen schaffen, drohen Südafrika harte Zeiten. Viel zu lange haben die Machthaber alle Warnungen vor einer Eskalation der weitverbreiteten Unzufriedenheit ignoriert, obwohl sich eine Eruption wie jetzt in Marikana abzeichnete.

Dass das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern stark vergiftet ist, liegt auch daran, dass der ANC seit langem mit dem mächtigen Gewerkschaftsbund Cosatu verbündet ist und wenig Lust verspürt, sich mit dem anzulegen. Die Arbeitsbeziehungen am Kap sind deshalb klar zugunsten der Arbeitnehmerseite gewichtet. Aber selbst im eigenen Haus bleibt der Staat passiv: Obwohl ein Großteil der Lehrer im Staatsdienst völlig unzureichend ausgebildet ist und kein Engagement zeigt, wagt der ANC es nicht, die mächtige Lehrergewerkschaft zu konfrontieren, um den eklatanten Bildungsnotstand endlich zu beheben. Allzu oft wird die hart erkämpfte politische Freiheit am Kap dieser Tage mit der Freiheit verwechselt, sich alles herausnehmen zu dürfen. In Schieflage ist das Land aber auch deshalb geraten, weil der ANC wichtige staatliche Stellen wie etwa die Führung der Polizei, aber auch den Vorsitz beim Verfassungsgericht nicht nach Kompetenz oder Verdienst, sondern fast nur nach parteipolitischer Loyalität mit eigenen Parteikadern besetzt.

Immer deutlicher wird auch, dass Präsident Jacob Zuma und den ANC-Parteikadern weniger am Wohlergehen des Landes als am eigenen Machterhalt gelegen ist – und an den Pfründen, die der Zugang zum Staat beschert. Die Politik des „Black Economic Empowerment“ (BEE), mit der die Schwarzen eigentlich stärker an der von den Weißen dominierten Wirtschaft beteiligt werden sollten, hat nur eine kleine schwarze Elite nach Vorbild der russischen Oligarchen reich gemacht, aber für die breite Masse der Schwarzen keinerlei Besserung gebracht.

Vieles deutet darauf hin, dass die jüngsten Ereignisse Populisten wie etwa Julius Malema, dem Ex-Präsidenten der ANC-Jugendliga, aber auch den radikalen Kräften im ANC neuen Auftrieb verleihen. Diese Gruppe liebäugelt seit langem mit der Verstaatlichung von Schlüsselindustrien wie Minen und Banken und will zudem die bereits jetzt rigiden Arbeitsgesetze durch noch mehr Auflagen verschärfen.

Gewiss wäre es verkehrt, jede politische, soziale oder wirtschaftliche Erschütterung der Post-Apartheid-Ära sofort zu einer Existenzkrise für das Land zu erheben. Was in Brasilien oder Indien als Ärgernis gilt, wird im Fall von Südafrika schnell mit dem desaströsen Niedergang von Simbabwe verglichen und zum Weltuntergang erklärt. Allerdings hat nun auch der ANC damit begonnen, die Weißen zum Sündenbock für das eigene Versagen zu machen – ein ominöses Vorzeichen. Auch ist zu bedenken, dass Afrika rund 60 Jahre nach der Unabhängigkeit der ersten Staaten noch immer vergeblich nach einem Erfolgsmodell sucht. Schon deshalb kann es nicht verwundern, wenn Südafrika als einziges Industrieland und einstiger Hoffnungsträger des Kontinents angesichts seiner gegenwärtigen Entwicklung mit besonderer Sorge betrachtet wird.

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