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Meinung: Wende ohne Weltanschauung

Der Union fehlt es an einem geistigen Überbau für die Machtübernahme Von Daniel Dettling

Wer denkt für die CDU?" fragt jüngst die Zeit und wusste keine Antwort. Die Regierung Schröder ist gescheitert, weil sie ohne Konzept den Ereignissen hinterherlief und am Ende ergebnisunfähig blieb. Floskeln wie „notwendige Anpassung an die Globalisierung“ oder „es gibt keine Alternative zur Politik der Bundesregierung“ sind keine Erklärung, sondern die Abdankung der Politik gegenüber dem Ziel, die Lebensbedingungen und Optionen der Menschen zu verbessern. Nur jeder Dritte glaubt in Deutschland, dass die Zukunft besser wird. Auch der CDU fehlen Botschaften und Bilder, Visionen und Werte, um einen bevorstehenden Politikwechsel zu begründen. Eine große Mehrheit der Wähler erwartet folgerichtig mit dem Regierungswechsel keine andere und das heißt: keine bessere Politik.

Wie und mit welcher Idee von Gesellschaft will die Union Politik machen? Und ist sie bereit, über den Reformalltag hinaus zu denken und Veränderungen nicht nur ökonomisch, sondern auch kulturell zu begründen? Politische Macht ist auf kulturelle und soziale Codes angewiesen. Wer die Sprache der Zeit nicht trifft und die Ängste der Menschen vor Veränderungen nicht aufnimmt, verliert an Bedeutung.

Welche Perspektiven bietet die Union auf die empfundene staatliche und ökonomische Misere? Eine gesellschaftspolitische Alternative stellt die Partei nicht dar. Was ist ihre Antwort auf den Vorwurf, den Sozialstaat abschaffen zu wollen?

Wer „alles anders“ machen will, muss begründen, warum eine derartige Neugründung der Republik ökonomisch nötig und sozial wichtig ist. Welche Werte und Institutionen machen den „Politikwechsel“ aus, von der die Kandidatin spricht? Die Union wird vor allem drei Fragen diskutieren und klären müssen: Wie sozial kann die Marktwirtschaft noch sein? Was heißt heute christlich und konservativ? Und mit welchem Stil will die Partei Politik machen?

Das deutsche Dilemma lässt sich folgendermaßen umschreiben: Die Bürger wollen möglichst viel Sozialstaat, zahlen sollen ihn aber „die anderen“. Manche Länder (Skandinavien) erwarten viel vom Staat und zahlen dafür auch bereitwillig Steuern. Anderswo (England, Amerika) ist es genau umgekehrt. Beides passt zusammen. Die Deutschen dagegen erwarten viel vom Sozialstaat, wollen aber wenig Steuern und Abgaben dafür entrichten. Diese Mentalität hält auf Dauer kein Staat(shaushalt) aus.

Auch die Union wird sich hier ehrlich machen müssen. Die Herausforderungen benötigen einen starken, aktivierenden Staat. Der reaktive, umverteilende, mittelstandszentrierte Sozialversicherungsstaat muss durch einen investiven, wachstumsfördernden Staat abgelöst werden, der sich auf die wirklich Bedürftigen konzentriert und den sozialen Ausgleich über Steuern finanziert.

Im Zweifelsfall, das heißt in Krisenzeiten, ist die SPD linke Volkspartei – und die Union? Die CDU weiß nicht, wie sie mit dem Dilemma umgehen soll, dass die Menschen zwar konservativer und wertorientierter werden, aber auf neue und andere Weise. Auch Homosexuelle, Alleinerziehende und Ausländer sind bürgerlich ansprechbar. Eine diffuse Patriotismus-Debatte kann die Frage nach dem Menschenbild nicht ersetzen. Traut die Union den Bürgern zu, frei und verantwortlich zu leben? Die Debatte über Werte wird dann erfolgreich sein, wenn sie nicht vorgeschrieben werden.

Wo steht der Geist heute? Er weht jenseits von rechts und links, aber kräftig. Bei den neuen Milieus (Wissensarbeitern, berufstätigen Eltern mit Kindern, den neuen Selbstständigen) hat es keine Partei leicht, am schwersten hat es aber die Union. Was ist ihr Angebot? „Vorfahrt für Arbeit“ ist zu wenig. Ohne eine andere Sprache wird es bei alten Antworten und Appellen bleiben. Der Politikwechsel setzt den Stilwechsel voraus.

Der Autor leitet den Think Tank berlinpolis. Soeben erschien von ihm: Parteien in der Bürgergesellschaft. Vs Verlag.

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