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Meinung: Wenn sich Qualität nicht rechnet

Die Pressefusionskontrolle gefährdet das Niveau deutscher Zeitungen – und das unserer demokratischen Auseinandersetzung

Kommunikation und Wirtschaft sind beides Kreisläufe. Aber sie funktionieren höchst unterschiedlich. Im Kommunikationsprozess, wenn er denn frei und demokratisch organisiert sein soll, müssen die Medien bereit (und gut genug) sein, das Zeitgespräch, das die Gesellschaft mit sich führt, darzustellen. Gelegentlich müssen sie es, wenn es zu erlahmen droht, auch anregen und aufheizen. In der Wirtschaft geht es um Gütererzeugung, Güterverbrauch, Güterumlauf und Güterverteilung.

Ob die Monopolkommission oder der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit es glauben oder nicht: Diese beiden Kreisläufe funktionieren nach unterschiedlichen Gesetzen. Es wäre denkbar, dass in Deutschland unter tausend unterschiedlichen Zeitungen eine vollkommene Konkurrenz existierte – und die Bürger trotzdem miserabel informiert wären. Es ist umgekehrt möglich, dass unter der Fuchtel einiger großer Verlage unabhängige Redaktionen einen regen geistigen Wettbewerb betreiben; wie die eher sozialdemokratisch orientierten Blätter „Westfälische Rundschau“ und „NRZ“ oder die christlich-demokratische „Westfalenpost“ unter dem Dach des WAZ-Konzerns.

Die Idee, dass wirtschaftlicher Wettbewerb automatisch publizistische Vielfalt garantiere oder umgekehrt Pressekonzentration automatisch zu einseitiger Publizistik führe, ist Unsinn. Jeder Journalist, jeder Verleger weiß das. Die meisten Leser wissen es auch. Bloß bestimmte Ökonomen und Juristen sind offenbar durch ein bestimmtes Training ihrer Gehirnwindungen daran gehindert, diese auf der Hand liegenden Unterschiede zu erkennen.

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Nehmen wir den gedrungenen aber wortgewaltigen Wernhard Möschel, der bis vor kurzem Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Wirtschaftsministerium war. Der behauptete kühl, die derzeitige Krise im Pressewesen beruhe im Wesentlichen auf konjunkturellen Ursachen. Dass die so genannten Rubrikenanzeigen (Stellen-, Immobilien-, Automärkte) ein für alle Mal zum Internet gerutscht sind, kann er zwar nicht bestreiten; aber das seien „Ausprägungen des Wettbewerbs und deshalb uneingeschränkt zu begrüßen“. Es sei eine ordnungspolitisch abstruse Vorstellung, immer dann den Gesetzgeber eingreifen zu lassen, wenn eine für das Allgemeininteresse wichtige Branche in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerate.

Damit hätte der gute Mann schon Recht, wenn es um die Ablösung der Droschkenkutscher durch die Taxis oder die Ablösung des Fernschreibers durch das Fax ginge. Wenn aber das Medium Zeitung und damit das Zeichensystem der Schrift zur Debatte steht, geht es um eine der großen Kulturtechniken der Menschheit. Das Ordnungsprinzip der Schrift erzwingt Disziplin, Abstraktion und die Logik der Isolation. Die lineare Anordnung zwingt dazu, zeitliche Abläufe genau zu ordnen und sich für Ursache-Folge-Verhältnisse zu interessieren. Wenn die Printmedien gezwungen wären, ihre Korrespondentenstellen und Feuilletons einzusparen, drohte kulturelle Provinzialisierung und eine empfindliche Einbuße an Reflexionsfähigkeit. No Problem, Mr. Möschel?

Mit vergleichbarem Sachverstand fuhrwerkt die Monopolkommission im Kommunikationssystem herum. Als es um die Fusion von nichtredaktionellen Teilen des Tagesspiegels und der „Berliner Zeitung“ ging, fragten die Herren mit ihrer Controller-Perspektive kühl, warum der Holtzbrinck Verlag „in der zweiten Hälfte der 90er Jahre Redaktionskosten und Personalaufwand des Tagesspiegels trotz ungünstiger Ertragslage drastisch erhöht“ hätten. Ein Journalist hätte geantwortet: „Um aus dem Tagesspiegel eine Hauptstadtzeitung zu machen.“ Unsere Monopolökonomen antworteten: „Die derzeitigen Verluste des Tagesspiegels sind teilweise darauf zurückzuführen, dass die Investition in Qualität sich betriebswirtschaftlich nicht rentiert hat.“ Was heißt das nun, verehrte Sachverständige? Dass man in Qualität nur investieren darf, wenn es sich saftig rechnet? Wer vom ökonomischen Kreislauf etwas versteht, muss vom kommunikativen noch längst keine Ahnung haben.

Hier muss man eine wohlwollende Bemerkung einschieben. Denn der Denkfehler liegt ja nicht nur bei irgendwelchen volks- und betriebswirtschaftlichen Kommissionen oder beim Präsidenten des Kartellamtes. Er liegt schon beim Gesetzgeber. Die Pressefusionskontrolle wurde 1976 als Kompensationsgeschäft erfunden. Nach dem die sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt unter dem heftigen Druck der Verleger das Projekt eines Presserechtsrahmengesetzes (mit weitgehenden Mitbestimmungsrechten für Journalisten) hatte fallen lassen, musste man den „Medienpolitikern“ aus dem linken Spektrum der SPD einen Happen hinwerfen. Die Pressefusionskontrolle entstand aus der hysterischen Furcht, der Axel-Springer-Verlag könne durch fortwährende Pressekonzentration zu einem Hugenberg-Konzern hochwachsen. Da die 68er damals mit der FDP im Bunde waren, radikalisierten sie das Wettbewerbsrecht. Dieser ökonomistische Denkansatz war niemals in der Lage, einen vielfältigen Qualitätsjournalismus in Deutschland zu sichern.

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Denn darum geht es. Die internationale Diskursfähigkeit eines Landes hängt von seinen Medien ab. Die „globale Klasse“ (Ralf Dahrendorf) mag sich mit der Sonntagsausgabe des „Observer“, dem „New Yorker“ oder der „International Herald Tribune“ behelfen. Allerdings wären alle Träume von einer geistigen „Selbstbehauptung Europas“ rasch ausgeträumt, wenn man sich auf diesen Ausweg verließe. Es ist schon schlimm genug, dass der Dialog zwischen Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft in Deutschland nur mühsam und zäh funktioniert – die kulturellen Eliten sind oft genug esoterisch, die politische Klasse praktizistisch und theorielos. Aber immerhin: Bei der Ostpolitik, dem Historikerstreit, der Debatte um 1968, der Gentechnik oder der Zukunft Europas gelangen Selbstverständigungsprozesse, die auch jenseits unserer Grenzen zur Kenntnis genommen wurden und Wirkungen auslösten. Die deutschen Zeitungen, insbesondere die Qualitätszeitungen (unterschiedlicher Provenienz) waren dabei zentrale Relaisstationen. Das Scheitern ihres Geschäftsmodells würde nicht nur ein paar mittelständische Unternehmen schädigen oder zu Grunde richten. Es würde die Fähigkeit unserer Gesellschaft zur ernsthaften Kontroverse, zur Sinnkommunikation, zur Arbeit der Zuspitzung gefährden.

Im Übrigen würde es der Diskursfähigkeit der Deutschen ja vielleicht auch nicht schaden, wenn es dort eine Hauptstadtpresse gäbe, die man mit Paris, London oder Zürich vergleichen könnte. Vielleicht sollte man es im Tagesspiegel (der nun einmal betroffen ist) nicht sagen, aber es ist wahr: Die langfristige Sicherung und weitere Aufwertung dieses Blattes ist eine der Möglichkeiten, um in der Stadt eine weithin hörbare Stimme zu etablieren. Die andere Möglichkeit ist die „Welt“, die jetzt unter der neuen Führung des Schweizer Journalisten Roger Köppel steht und sicherlich auch versuchen wird, sich ungeachtet ihres Dauerdefizits stärker bemerkbar zu machen.

Dass das Haus Springer die Sicherung des Tagesspiegels über eine Kooperation mit der (Ostberliner) „Berliner Zeitung“ nicht schön findet, muss man verstehen. Wer ist schon scharf auf eine wirksame Konkurrenz? Aber der Springer Verlag hat, gemeinsam mit seinen „Kaufzeitungen“ – „Bild Berlin“ und „BZ“ – 71Prozent des Berliner Lesermarktes in der Hand. Und es kann nur Wettbewerbsrechtlern einfallen, Kaufzeitungen und Regionalzeitungen zu unterschiedlichen Märkten zu rechnen.

Der Leser ist ein kommunikatives Tier; er informiert sich dort, wo es für ihn spannend ist. Auch wenn das Kartellamt die „Bild“-Zeitung in eine andere Schublade tut als den Tagesspiegel, die „Berliner Zeitung“ oder die „Welt“, für den Leser liegen sie am Kiosk alle nebeneinander. Die Leute entscheiden über ihren privaten Mediamix nicht nach irgendwelchen Kriterien, die sich ein Fachmann des Kartellamtes ausgedacht hat.

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Die Gesamtsituation im Zeitungsmarkt ist ernst. Im Lesermarkt sank die Reichweite der Mediengattung Tageszeitung in der Gesamtbevölkerung von 83 Prozent im Jahr 1979 auf 71 Prozent im Jahr 2003. Die Jungen lesen weniger. Die Anzeigeneinnahmen der Tageszeitungen in Deutschland sanken von 6066,43 Millionen im Jahr 1999 auf 4454,90 Millionen Euro im Jahr 2003; dabei ist das Boomjahr 2000 mit seinen Anzeigeneinnahmen von 6556,55 Millionen schon realistischerweise ausgelassen. Der Verlust an Anzeigenumsatz gegenüber 1999 entspricht einem Viertel. Und viele der verlorenen Anzeigen werden nie wieder zurückkommen. Machen wir uns nichts vor: Die Mediengattung Tageszeitung steckt in der ernsthaftesten Krise seit 1945.

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Aus diesem Grund ist es sinnvoll, dass die Bundesregierung die Zusammenarbeit von Zeitungsverlagen erleichtern will. Die wichtigste der geplanten Maßnahmen ist sicherlich die Erleichterung der Kooperation zwischen Zeitungsverlagen bei Anzeigen und Druck. Viele der kleineren Blätter haben inzwischen alle Sparmaßnahmen ausgeschöpft und könnten bei der nächsten Krise so verschlankt werden, dass sie nur noch aus dem Internet gezogene Nachrichten in vorgefertigte Gefäße füllen würden. Die Nachrichtenquellen – ein paar grosse Agenturen und die letzte Hegemonialmacht der Welt – könnten nicht mehr hinterfragt werden. Wir hätten dann, wettbewerbspolitisch korrekt, rund 340 Abonnementszeitungen mit rund 120 publizistischen Einheiten – und ein- und denselben Meinungsbrei. Aus der Sicht der Pressefusionskontrolle wäre das vollkommen in Ordnung.

Da das in Wirklichkeit natürlich nicht in Ordnung wäre, muss man – wie Wolfgang Clements Gesetzentwurf – durchaus auch die Fusion von Zeitungsverlagen in die Überlegungen einbeziehen. Die Erhöhung der „Eingriffsschwelle“, bei der das Kartellamt einer Fusion zustimmen muss, von 25 auf 50 Millionen Euro ist inzwischen unumstritten. Aber auch die Idee, Zusammenschlüsse trotz Marktbeherrschung dann zu erlauben, wenn bei der aufgekauften Zeitung die Selbstständigkeit der Redaktion einigermaßen gewahrt bleibt, ist realistisch.

Es gibt (wie das Beispiel der WAZ zeigt) in Deutschland eine ganze Reihe von Verlagen, die sowohl liberal-konservative wie linksliberale Redaktionen in ihrem Verlag nebeneinander dulden. So wird der Verleger vom Gesinnungstäter zum Gesprächsanwalt. Das kann man, zugegebenermaßen, nicht mit allen Menschen machen. Axel Springer hätte sich in dieses Schema nicht gefügt. Aber die charismatischen Verleger mit großen politischen Entwürfen sind selten geworden, und das längst vor der Diskussion um die Clement’sche Novelle zur Pressefusionskontrolle.

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Natürlich: Ungefährlich ist die Situation nicht. Medienzaren mit australischer Hemdsärmeligkeit wie Rupert Murdoch könnten unter den Bedingungen des digitalen Kapitalismus in Deutschland genauso einbrechen wie in Großbritannien. Murdoch zwingt dort Tony Blair gerade, seine europafreundliche Politik zu mäßigen. Solche eingeflogenen Praezeptores Germaniae wollen wir nicht. Es ist aber ein Kinderglaube, dass man solch eine Entwicklung verhindern könnte, wenn man der „Deister-Weser-Zeitung“ die Kooperation mit dem nächst stärkeren Verlag untersagt und die „Süddeutsche Zeitung“ (Verlust im Jahr 2002: 76 Millionen Euro) dazu nötigt, die „Frankenpost“ loszuschlagen, weil sie sich mit irgendwelchen Stuttgartern einlassen musste.

Derzeit geht es um die Qualität des Zeitungsgewerbes. Den Qualitätsbegriff können die Wettbewerbsrechtler und Fusionsökonomen in ihrem Kategoriensystem nicht unterbringen. Deswegen möchte man ihnen in aller Freundschaft raten, sich dem Pharmamarkt, der Erdölindustrie und unseren Stromproduzenten zu widmen. Dort gibt es genug zu tun.

Peter Glotz

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