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Meinung: Wer lebt schon mit Federvieh?

Mit der Vogelgrippe infizierte Zugvögel sind kein Grund zur Panik

Alexander S. Kekulé Jetzt ist die tödliche Vogelgrippe also vom fernen China über Sibirien und die Mongo lei schon bis zum Ural herangerückt, an die geographische Grenze Europas. Wenn Mitte September die Zugvögel eintreffen, müssen in Deutschland die Hühner in den Stall. Angesichts der täglichen Medienberichte über das drohende Massensterben machte sogar Bundesfinanzminister Hans Eichel 20 Millionen Euro aus seiner leeren Kasse locker, damit an einem Impfstoff gegen das Supervirus geforscht werden kann – es sieht ganz so aus, als wäre das Thema „InfluenzaPandemie“ endlich bei der Politik angekommen.

Das ist gut so, weil vernünftige Vorbereitung auf eine weltweite Supergrippe viele Menschenleben retten, wirtschaftlichen Schaden verringern und die öffentliche Ordnung sichern kann. Die infizierten Zugvögel sind jedoch kein Grund zur Panik: Das Risiko einer Pandemie wird durch sie nicht nennenswert erhöht.

Seit dem ersten Auftreten des neuen Grippevirus H5N1 vor acht Jahren hat dieser besonders gefährliche Erreger in Asien einige hundert Millionen Hühner, Enten und andere Vögel dahingerafft. Im Laufe der Jahre wurde das Virus immer aggressiver und breitete sich auf neue Vogelarten aus, auch Schweine und andere Säugetiere werden befallen. Trotzdem ist das Vogelgrippevirus H5N1 in erster Linie ein Schrecken für Vögel – für den Menschen ist es bis heute nahezu ungefährlich. Zwar kam es seit 1997 insgesamt zu etwa 100 Übertragungen auf den Menschen. Doch fast alle ließen sich auf engste Kontakte mit dem Federvieh zurückführen. Die Menschen in Südostasien leben oft mit den Tieren unter einem Dach, trinken dasselbe Wasser. Sie berühren täglich Federn, Kot und Blut der kranken Vögel. Dass dort bisher nicht mehr Menschen erkrankten und selbst bei den unter primitiven Bedingungen durchgeführten Massenkeulungen keine Infektionen auftraten beweist, dass H5N1 derzeit nur in extremen Ausnahmefällen auf den Menschen überspringt.

Die Fachleute befürchten jedoch, dass das besonders aggressive Vogelgrippevirus die Fähigkeit zur Übertragung von Mensch zu Mensch erwerben könnte. Dann käme es innerhalb weniger Monate zu einer weltweiten Pandemie – die Weltgesundheitsorganisation rechnet mit bis zu 100 Millionen Toten. Nach einer weithin akzeptierten Theorie entstehen neue Pandemieviren durch Austausch von Erbinformationen zwischen einem Vogelgrippevirus, wie etwa H5N1, und einem gewöhnlichen menschlichen Grippevirus. Die Gefahr dafür ist am größten, wenn sehr viele Vögel infiziert sind und viele Menschen mit ihnen engen Kontakt haben – genau das ist gegenwärtig in Südostasien der Fall.

Wenn die Zugvögel das H5N1- Virus tatsächlich nach Europa einschleppen sollten, was Fachleute schon länger befürchten, hätte das verheerende Folgen für die Landwirtschaft – als vor zwei Jahren ein ähnliches Virus in Holland auftauchte, mussten dort 30 Millionen Hühner getötet werden. Veterinäre und das mit der Seuchenbekämpfung befasste Personal könnten sich jedoch durch Schutzkleidung und antivirale Medikamente vor einer – ohnehin extrem unwahrscheinlichen – Ansteckung schützen. Für die Verbraucher ist die Geflügelpest keine Gefahr – außer der, dass die Preise steigen und die beliebten Freiland-Produkte vorübergehend aus den Regalen der Supermärkte verschwinden werden.

Da in Deutschland die Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung bei Geflügel effizient durchgeführt werden können und keine engen Kontakte zwischen Tier und Mensch bestehen, ist die Entstehung eines neuen Pandemievirus in Mitteleuropa extrem unwahrscheinlich. Wenn die Pandemie eines Tages kommt, wird sie nicht mit Zugvögeln, sondern per Flugzeug aus Asien einreisen. Für diesen Tag gilt es, so gut wie möglich vorbereitet zu sein.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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