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Meinung: Wer lernt hier von wem was?

„Schule fürs Leben:“ vom 3. Juli Geschenkte Schulabschlüsse sind nichts wert – kein Widerspruch!

„Schule fürs Leben:“ vom 3. Juli

Geschenkte Schulabschlüsse sind nichts wert – kein Widerspruch!

Kinder, deren Eltern sich nicht genug um sie kümmern, brauchen Schulen, die besonders gut sind – stimmt. Kinder, die aus schwierigsten Verhältnissen kommen und es zu erfolgreichen Schulabschlüssen bringen, verdienen größten Respekt – ausdrücklich Zustimmung!

Warum aber muss es deshalb weiterhin „besondere“ Schulen geben, wie die bisherigen Hauptschulen, die sich um diese Kinder besonders kümmern? Warum soll es zwingend sein, dass immer mehr Schulen die Anforderungen senken und Abschlüsse ohne Anforderungen vergeben?

Keine Frage: Der Anspruch an den Unterricht in integrierten Schulen ist hoch. Fördern und Fordern, Lernen auf höchstem Niveau entsprechend der unterschiedlichen Voraussetzungen der Kinder ist eine große Herausforderung für alle Lehrkräfte. Statt aber das hohe Lied der „Aussonderung“ unter der Überschrift „besonderer Förderung“ weiter zu singen und dabei die Augen vor den wenig anregenden und förderlichen Lernumgebungen in den „besonderen Schulen“ zu verschließen – wer lernt hier eigentlich von wem was? –, kommt es darauf an, die Schulen durch gute Fortbildung und enge Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe zu unterstützen. Dass der Weg gemeinsamen Lernens gelingen kann, lehrt ein Blick nicht nur in finnische, sondern auch in heimische Schulen, die den Deutschen Schulpreis erhalten haben: Hohe Leistungsbereitschaft und Motivation von Schülern und pädagogischem Personal und nachweisbare Ergebnisse auf hohem Niveau können Ansporn und Triebkraft für die notwendige Weiterentwicklung in unseren Schulen sein.

Siegfried Arnz, Referatsleiter SenBWF Berlin, verantwortlich für Schulstrukturreform

Sie weisen darauf hin, dass hohe Leistungsbereitschaft und Motivation von Schülern und pädagogischem Personal und nachweisbare Ergebnisse auf hohem Niveau Ansporn und Triebkraft für die Weiterentwicklung in unseren Schulen sein können. Aber wo bleibt die bildungspolitische und finanzielle Unterstützung für eine entsprechende langfristige Schulentwicklung des Berliner Senats?

Allerdings kann ich den Vorschlag von Herrn Martenstein, eine weitere Sonderschule für „Wolfskinder“ zu schaffen oder die Hauptschulen zu erhalten, nicht teilen. Denn: Jedes Kind hat das Recht, dort zu lernen, wo alle lernen und die beste Bildung zu erhalten! Als Gesellschaft haben wir die Verantwortung, dafür die Rahmenbedingungen zu schaffen. Zukunftsfähige Bildung gelingt nicht, wenn wir Ansprüche und Anforderungen absenken. Aber die Aufteilung der Schüler in besondere Schulen für unterbehütete oder überbehütete, für emotional vernachlässigte oder hochbegabte Kinder ist eine Sackgasse.

Vor zweieinhalb Jahren hat Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention unterschrieben und sich damit verpflichtet, ein inklusives Schulsystem zu schaffen. Damit geht es nicht mehr darum, zum Beispiel bei der Einschulung zu prüfen und zu untersuchen, ob das Kind schulfähig ist oder nicht. Ob es aufgrund vorliegender Defizite auf eine Förderschule verwiesen werden soll oder vielleicht doch der gemeinsame Unterricht möglich ist. Jetzt geht es darum, dass die Schule, an der das Kind angemeldet wird, prüfen muss, wie für dieses Kind an dieser Schule die optimalen Lernvoraussetzungen geschaffen werden können.

Die Fragestellung lautet also nicht mehr: Ist das Kind schulfähig? Sondern: Ist die Schule kindgerecht? Welche Förderung braucht die Schule, das Kollegium? Was muss an dieser Schule getan werden, um die Entwicklungsdefizite eines Kindes aus bildungsfernen Milieus zu kompensieren? Sie schreiben, dass es in unserer Region inzwischen viele gute und erfolgreich arbeitende Beispiele dafür, wie in einem Unterricht, in den alle Kinder integriert sind, das Leistungsniveau für alle steigt, also alle davon profitieren. In der Tat ist es so, dass die von Herrn Martenstein als „Wolfskinder“ betitelten Schüler davon profitieren, in ihrer Klasse ein hohes Anreizniveau vorzufinden. Eine auf der Sozialkompetenz aufbauende Lernkompetenz entwickelt sich immer nur in der Gemeinschaft. So eine Schule der Vielfalt ist eine Schule fürs Leben!

Der gemeinsame Unterricht in einem inklusiven Schulsystem ist eine gesellschaftliche Herausforderung: Lehrerinnen und Lehrer müssen entsprechend qualifiziert, vorbereitet und begleitet werden.

Für die Zukunft unserer Gesellschaft brauchen wir möglichst viele junge Menschen, die nicht nur einen qualitativ hochwertigen Schulabschluss erworben haben, sondern die wissen, was sie können – und auch wissen, was sie nicht können. Und die voneinander wissen, wo der andere seine Stärken und besonderen Kompetenzen hat.

Wie sagt Theodor Fontane: „Das Leben hat mich gelehrt, dass alles auf den Menschen ankommt, nicht auf die sogenannten Verhältnisse.“

— Winfried W. Steinert, Bildungsexperte und Sprecherrat des Expertenkreises „Inklusive Bildung“ der Deutschen Unesco Kommission

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