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Meinung: Wie viele Stasi-Leute landeten in der Psychiatrie?

In der DDR gab es nicht nur Täter oder Opfer

Von Lutz Rathenow Berlin hat wieder einmal eine Stasi-Debatte. Sie kommt wie immer dann, wenn wirklich keiner damit rechnet. Im Grunde existieren zwei Diskussionen, die zur Frage führen: Wie weiter mit der Vergangenheit? Da gibt es einen Film, der erfolgreich ist und zum ersten Mal hautnah und überzeugend das zeigt, was die Staatssicherheit „Zersetzungsmaßnahme“ nannte. Der Film „Das Leben der Anderen“ führt bei Vorstellungen zu anschließendem Applaus und Fragen junger Leute: Was ist eigentlich aus diesem DDR-Erbe geworden.

Die Antwort erhielt man kürzlich in der ehemaligen Stasi-Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen. MfS-Offiziere verhöhnten ihre damaligen Opfer. Sie wollen nicht nur höhere Renten – sie möchten auch noch moralisch die Guten gewesen sein. (Es gibt faktisch keine wirklich selbstkritischen Stimme aus den Kreisen jener, die für Überwachung und aktive Maßnahmen gegen Menschen zuständig waren.) Der Film ist ein gelungenes Märchen, das uns an bittere Realitäten erinnert, die sogar einen PDS-Politiker hilflos machen. Damit sind wir bei Debatte zwei. Berlins Kultursenator Flierl wurde zu Recht dafür gescholten der zynischen Verhöhnung der Opfer durch die Stasi-Leute nicht entgegengetreten zu sein. Wer solche Wähler an sich bindet, verliert mit jeder Rücksichtnahme ein Stück seiner eigenen demokratischen Glaubwürdigkeit.

Gescheitert ist auch das Projekt Versöhnung als Gesprächstherapie. Nach 16 Jahren punktueller Verständigungsversuche sind die Positionen wieder zu Fronten geworden. Doch wir sollten nicht zu viel Empörung in die Polemik gegen beständig alternde Stasi-Leute investieren. Es kann nur noch um genaue Geschichten aus der DDR-Geschichte gehen und um ihr Weiterwirken bei jüngeren. Darum geht es auch im neuen Berliner Gedenkstättenkonzept in puncto Mauer in Berlin. Auch hier entscheiden nicht einzelne Formulierungen, sondern der politische Wille, den Stätten zu einem wichtigen Platz im öffentlichen Bewusstsein zu verhelfen. Und offen zu sein für ungewohnte Fragen, für neue Perspektiven.

Natürlich muss auch über Staatssicherheitsmitarbeiter nachgedacht und geforscht werden: Wie viele mussten aus psychischen Gründen den Dienst quittieren, landeten in der Psychiatrie, wie viele Selbstmorde gab es? Es passt manchem ehemaligen Dissidenten der DDR nicht, wie viel Anteilnahme ein MfS-Offizier sich in einem Film erschauspielern kann. Wir wachen als ehemalige DDR- Oppositionelle zu sehr über die politisch korrekte Darstellung der Vergangenheit und hemmen so ihre Entfaltung in der Gegenwart. Denn Täter gestalten die Geschichte und ein Opfer bleibt ein Opfer, ihm fehlt die Faszination. (Man kann nicht über die Gründe der Tat sinnieren. Er verlangt einfach Mitleid, was irgendwann lästig wird. Und den eigenen Selbsterhaltungstrieb aktiviert, der vor allem vermeiden will, jemals selbst ein Opfer zu werden. Am Täter vergleicht man sich, das Opfer verbreitet eine Aura des Gescheitertseins. In der Leistungsgesellschaft fast noch problematischer als in der Diktatur, die auch Leistung politisch instrumentell verwalten will.)

Die DDR-Oppositionellen waren nicht nur Opfer, ihre Geschichten müssen als Tätergeschichten erzählt werden: jener künftige Film ist noch ungedreht. Die Haltung ehemaliger Offiziere braucht die Debatte nicht zu bestimmen. So wichtig sind sie nicht und werden es nie wieder sein. Es geht um alle anderen, für die sind die Gedenkstätten da. Und die Filme. Und wie bei „Das Leben der anderen“ haben manchmal jene die besseren Ideen, die das nicht alles selbst erlebten. Die DDR-Geschichte ist ein Teil der deutschen Geschichte und kann nur noch als gesamtdeutsches Projekt betrieben werden. In Berlin und anderswo.

Der Autor, Schriftsteller und DDR-Dissident, veröffentlichte gerade mit dem Fotografen Harald Hauswald „Gewendet – vor und nach dem Mauerfall: Fotos und Texte aus dem Osten“ (Jaron Verlag).

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