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Weltaidstag: Wir vermasseln die Wende

Endlich gibt es Erfolge im Kampf gegen Aids, und schon wendet sich die Welt ab - aus Geldnot und aus Desinteresse.

Es gäbe so viele gute Nachrichten, die man an diesem Weltaidstag feiern könnte: 2009 steckten sich eine halbe Million Menschen weniger mit dem Immunschwäche-Virus an, als noch vor zehn Jahren. Der Anteil schwangerer Frauen, die Medikamente bekommen, um eine Infektion des ungeborenen Kindes zu verhindern, hat sich in wenigen Jahren verdoppelt. Und die Forschung an einem Impfstoff hat durch die Untersuchung von Menschen, deren Immunsystem das Virus von selbst in Schach hält, echte Fortschritte gemacht.

Aber kaum einem Aids-Arzt oder HIV-Helfer ist nach Feiern zumute. Denn die traurige Wahrheit ist: Die Kämpfer gegen Aids werden ein Opfer ihres Erfolges, und die Menschheit ist im Begriff, eine Wende, die zum Greifen nahe ist, zu vermasseln – aus Geldnot und Desinteresse.

Die Geldnot zuerst: Einer der größten Erfolge der letzten Jahre zeigt sich in der Zahl von Aids-Patienten in armen Ländern, die Medikamente erhalten. 2004 waren es 700 000. Heute sind es 4,5 Millionen. Die Medikamente reduzieren auch die Zahl der Viren im Körper und damit die Gefahr, einen anderen Menschen anzustecken. Die Behandlung ist also wichtig, um die Epidemie einzudämmen.

Doch es gibt noch immer zehn Millionen Menschen, die Medikamente brauchen, sie aber nicht bekommen. Und nun, da klar ist, dass eine Aids-Behandlung medizinisch und logistisch auch in Entwicklungsländern möglich ist, geht das Geld aus. Auf bis zu acht Milliarden Euro im Jahr hatte der globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose gehofft. Er finanziert die Medikamente für 2,8 Millionen Patienten. Am Ende wurden es mit erheblichen Mühen vier Milliarden Euro. In der Finanzkrise versiegt das Geld und ein Sieg im Kampf gegen Aids rückt in der Prioritätenliste nach unten.

Auch das deutsche Entwicklungshilfeministerium hat seinen Beitrag von 200 Millionen Euro nicht erhöht. Stattdessen wird immer wieder suggeriert, dass man selbst dieses Geld lieber anders ausgeben würde. Unter Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel wird bilaterale Hilfe groß geschrieben. Wo deutsches Geld drin ist, da soll irgendwie auch eine deutsche Flagge drauf sein. Dabei sind die Erfolge der letzten Jahre gerade multilateralen Finanzierungsmodellen wie dem globalen Fonds geschuldet.

Hinzu kommt eine seltsam gelangweilte Stimmung. Elend in Afrika, das ist erwartbar, ja nervig, nach dem Motto: „Meine Güte, wer sich heute noch mit Aids infiziert, der ist aber auch selbst schuld.“ Viele Menschen wenden sich lieber „blame-free diseases“ wie Malaria zu. Wer von einer Mücke gestochen wird, trägt schließlich eindeutig keine Schuld an seiner Erkrankung.

Das ist schon deswegen zynisch, weil Entwicklungshelfer über Jahre gepredigt haben: „Lasst euch testen. Wenn ihr HIV-positiv seid, dann können wir euch helfen.“ Jetzt bleibt ihnen mitunter nur, hilflos die Hände zu heben und zu sagen: „Wenigstens weißt du jetzt, dass du infiziert bist.“ Das ist für jeden Einzelnen eine Katstrophe und für die Welt, die endlich Erfolge im Kampf gegen Aids sieht, eine schreckliche Nachricht.

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