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Welche Rechte haben Tiere? Hier zwei Storche auf einem Feld in Hessen.

© dpa

Wissenschaft: Auch Tiere haben Rechte

Alles Leben hat sein Recht, nicht nur das der Menschen, sondern auch das der Tiere. Diese Ansicht setzt sich durch. Denn in den Geisteswissenschaften hat das Thema Konjunktur.

Von Anna Sauerbrey

Dieses Jahr wird das Jahr der Tiere. Das schreibt zumindest Peter Singer, Professor für Bioethik in Princeton, der große Tierrechtler unter den zeitgenössischen Philosophen. Hoffnung schöpft er, weil die Europäische Union zum 1. Januar das Einpferchen von trächtigen Säuen in enge Boxen eingeschränkt hat. Man könnte das vor zwei Wochen erlassene EU-weite Verkaufsverbot für an Tieren getestete Kosmetikprodukte ergänzen. Und ist es nicht wegweisend, dass sich der neue Papst nach Franz von Assisi nennt, der der Legende nach einen Wolf zähmte, Weihnachten mit Ochs und Esel feierte und die Vögel seine „Brüder“ nannte?

Tatsächlich gibt es viele Zeichen für eine Weiterentwicklung des Tierrechts – doch der Umgang der Menschen mit den Tieren bleibt widersprüchlich. Die Deutschen wollen Fury nicht in ihrer Lasagne und beerdigen Fiffi im Eichensarg, aber wehe, wenn die Grillsaison beginnt! Für das Zusammenleben der Menschen gibt es ein ethisches Regelwerk, dessen Prinzipien auch über kulturelle Grenzen hinweg weite Anerkennung finden (wenn es auch oft an der Umsetzung krankt). Das Tierrecht hingegen ist eklektisch. Ein Grund dafür ist, dass beim Tierrecht, anders als bei den Menschenrechten, nicht die Perspektive des „Betroffenen“ (also der Tiere), sondern stets die des Menschen ausschlaggebend ist.

Will man überhaupt eine leitende Idee erkennen, lautet der Grundsatz „Verhältnismäßigkeit“: Steht der Nutzen für den Menschen zu den Qualen oder dem Tod des Tieres in einem angemessenen Verhältnis? „Die Interessen der Tiere haben Gewicht, darauf bestehen wir“, schreibt die Harvard-Philosophin Christine M. Korsgaard in der aktuellen Ausgabe der US-Philosophiezeitschrift „The Point“. „Aber sie haben nie genug Gewicht, um beim Abwägen von Tier- und Menschenrechten die Waagschale zugunsten der Tiere zu senken.“

Immerhin, dass Tiere grundsätzlich ein legitimes Interesse am Überleben und Wohlbefinden haben, bestreiten immer weniger. In den Geisteswissenschaften hat das Thema Konjunktur, und seit Kants Überlegungen hat sich dort viel getan. Während Kant fragte: Was macht es mit uns und unserer moralischen Haltung gegenüber anderen Menschen, wenn wir Tiere schlecht behandeln, ist die zentrale Frage bei der Entwicklung von tierrechtlichen Handlungsmaximen heute auch: Wie fühlt es sich an, ein Tier zu sein? Manche sprechen von einem Paradigmenwechsel, vom „animal turn“.

Dieser Perspektivwechsel ergibt sich auch aus dem Austausch mit den Naturwissenschaften. Die Biologie musste zuletzt viele der Zäune versetzen oder einreißen, die einst die scheinbar klare (moralische) Grenze zwischen Mensch und Tier markierten: Tiere verständigen sich mit ausgefeilten Laut- und Zeichensystemen, sie geben Wissen über Generationen weiter, sie bilden Gesellschaften und Hierarchien. Menschenaffen verwenden Werkzeuge, und sogar Fische sind offenbar deutlich lernfähiger, als man glaubte. In den postmodern geprägten Geisteswissenschaften fallen diese Befunde auf fruchtbaren Boden. Sie sind ohnehin seit Jahrzehnten dabei, systematisch biologische Konzepte zu „dekonstruieren“.

Peter Singer hat das Urwerk des „animal turn“ geschrieben: „Animal Liberation“ erschien 1975. Darin argumentierte er, die Tatsache, dass Tiere in der Lage seien, Schmerzen zu empfinden, genüge, um ihren Anspruch zu begründen, dass man ihnen keine zufüge. Singer führte den Begriff „Speziesismus“ ein – die Diskriminierung anhand der Tatsache, dass „man“ zu einer bestimmten Spezies gehört. In seinem Blogeintrag vergleicht er den Kampf gegen die Unterdrückung der Tiere sogar mit dem Kampf gegen die Sklaverei.

So weit wollen viele nicht gehen. Es gibt gute Gründe, das Tierrecht nicht aus der Tierperspektive allein zu entwickeln. Das älteste Argument ist das vom Bewusstsein. Menschenaffen erkennen sich selbst, andere Tiere aber nicht. „Sich als Wesen mit einer Art von Identität zu denken, die sowohl von einem selbst geformt werden kann als auch dem normativen Urteil anderer unterliegt, ist ein Charakteristikum, das dem Menschen allein eigen ist“, schreibt Korsgaard. Sie weist aber auch auf eine interessante Gemeinsamkeit zwischen Mensch und Tier hin. Wir sind, ebenso wie Tiere, Gefangene unserer Selbstwahrnehmung. Menschen werden nie wissen, welcher Genuss es für ein Schwein ist, sich zu suhlen. Ein Schwein wiederum wird nie den Genuss des Lesens erleben. Das gemeinsame Gefangensein in der eigenen Perspektive legt uns besondere Rücksichtnahme auf.

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