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Wissenschaft und Klimawandel: Nach dem Gipfel ist vor der Debatte

An der Realität des Klimawandels bestehen keine ernsthaften Zweifel, auch wenn die Klimaskeptiker im Internet offenbar schon die Oberhand gewonnen haben. Nach dem gescheiterten Klimagipfel muss die wisschenschaftliche Debatte so richtig losgehen - mit Argumenten statt mit Dogmen.

Der prominente amerikanische Klimaforscher James Hansen ist ein Freund offener Worte. Es wäre ihm lieber, sagte Hansen vor dem Kopenhagener Klimagipfel in einem Interview, die Gespräche würden zu keinem Ergebnis führen, als ein weiteres Durchwursteln zu legitimieren. Am Ende hat Hansen, der einen kompromisslosen Klimaschutz fordert, mit seinem sarkastischen Wunsch recht behalten. Der Kopenhagener Minimalkonsens ist dürftig, fast ein Scheitern. Die Rettung der Welt, wenn sie denn mit einem Abkommen zu erreichen ist, wurde in der Tat verschoben.

Aber man kann das Konferenzergebnis auch als Versagen von Wissenschaftlern wie Hansen deuten. Die Forschung hat Indizien für den Klimawandel gesammelt – Temperaturanstieg, schmelzende Gletscher, Wandel der Jahreszeiten, Aufheizen der Ozeane, manches mehr. Sie hat Szenarien für die Zukunft entworfen. Zum Beispiel, wie viel Kohlendioxid man noch in die Atmosphäre blasen kann, damit der Temperaturanstieg auf zwei Grad begrenzt bleibt. Ansonsten: Dürren, Überschwemmungen, Malaria in Brandenburg, Flüchtlingsströme gen Norden. Geholfen haben die Anstrengungen anscheinend wenig. Es gelang nicht, die Regierungen wirklich zu überzeugen.

Gleichzeitig war Kopenhagen in mancher Hinsicht ein Triumph der Klima- skeptiker. Kurz vor Konferenzbeginn waren im Internet Hunderte von vertraulichen Mails aus dem Klimaforschungszentrum der Universität von East Anglia aufgetaucht. „Climategate“ war geboren und tauchte die Zunft der Klimaforscher in nicht eben schmeichelhaftes Licht.

Datenmanipulation, das Verbergen von Informationen und das Unterdrücken kritischer Publikationen glaubten die Gegner des „Klimakartells“ aus diesen Mails herauszulesen. Nach einer US-Umfrage waren danach sechs von zehn Personen der Ansicht, dass die Forscher gefälscht haben könnten. Im Internet, so hat es manchmal den Anschein, haben die Klimaskeptiker bereits die Oberhand gewonnen.

Trotzdem: An der Realität des Klimawandels bestehen auch nach „Climategate“ keine ernsthaften Zweifel. Die Last der Indizien ist erdrückend. Aber das bedeutet nicht, dass die Forschung sich abschotten darf. Für die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft sind Offenheit und Transparenz entscheidend, erst recht in einer so zentralen Frage wie dem Klimaschutz. Auch in der „etablierten“ Klimaforschung gibt es Debatten, wird um Prognosen und den richtigen Weg gestritten. In der Wissenschaft zählen Argumente, nicht Dogmen. Ein monolithischer Block sind die Skeptiker nicht. Da gibt es alle Schattierungen, vom „Leugner“ des menschengemachten Klimawandels bis hin zu jenen, die die globale Erwärmung zwar anerkennen, aber den Vorhersagen misstrauen und andere Probleme für wichtiger halten. Und manch einer ist einfach der Untergangsszenarien überdrüssig.

Klima, Pisa-Krise, Energie, Gentechnik, neue Gefahren wie die Schweinegrippe – in vielen wichtigen Fragen ist die Wissenschaft zur zentralen Beratungsinstanz von Gesellschaft und Politik geworden. Das ist sinnvoll, vermittelt sie doch im besten Fall gesicherte und von jedermann nachprüfbare Erkenntnisse. Andererseits ist das Zeitalter absoluter Gewissheiten vorbei. Auch die Forschung kann sich verschätzen, kann, wie im Fall der Schweinegrippe, eine Gefahr für größer halten, als sich am Ende herausstellt.

Erkenntnisse aus der Wissenschaft können die Leitplanken vorgeben, über den Kurs in die Zukunft muss jedoch die Politik entscheiden. Diese demokratische Arbeitsteilung hat sich im Prinzip bewährt, selbst wenn sich mancher nach dem lauen Kopenhagener Ergebnis eine Öko-Diktatur gewünscht hätte. Dabei lässt sich positiv vermerken, dass das Klimathema die Expertenkreise verlassen und in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Nie wurde heftiger über die Zukunft des Planeten gestritten. Jetzt geht die Debatte richtig los. Das ist vielleicht wichtiger als ein fauler Kompromiss. Würde James Hansen sagen.

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