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Obama in Berlin: Wo bleibt denn da die Politik?

Lässt sich geschichtlicher Fortschritt auch an Sicherheitsmaßnahmen messen? Und wenn ja – was lehrt uns dann dieser Besuch des US-Präsidenten über die Zeit, in der wir leben? Eine kritische Nachlese eines Besuchs mit merk- und denkwürdigen Erscheinungen.

Ich habe ein gutes halbes Dutzend solcher Besuche von den Männern, die im Weißen Haus regierten erlebt. Der wichtigste davon war der von Ronald Reagan im Jahr 1987. Er zählt – neben dem Auftritt von John F. Kennedy im Jahr 1963 - zu den großen historischen Momenten, in denen Stadt- und Weltgeschichte zusammenfielen. Denn Reagan stellte sich am Brandenburger Tor vor die Mauer und forderte ihren Abriss. Mir, wie den meisten kam dies damals als die ultimative Show vor – aber es war tatsächlich Geschichte, zumal diese Aufforderung ziemlich spontan ins Redemanuskript kam. Der alte Mann aus Washington war geschockt von der Realität der geteilten Stadt.

Im Westteil der Stadt herrschte damals noch Besatzungsrecht und so tobten sich die Verantwortlichen für die Sicherheit auf dem Hintergrund dieses Besuchs auch aus. Der öffentliche Nahverkehr von und nach Kreuzberg wurde stillgelegt und an einer Vielzahl von Kontrollpunkten in der Stadt wurden Autos durchsucht. Im Tiergarten allerdings und später auch bei einer zweiten großen Veranstaltung im Tempelhofer Flughafen ging es ziemlich zivil zu – ein kurzer Check für die Zehntausenden von Besuchern der Veranstaltungen und so mancher wurde einfach unkontrolliert durchgelassen.

Gleichzeitig gab es die üblichen Straßenschlachten ein paar Kilometer entfernt und im Nachhinein auch eine erregte Debatte, ob der Besuch des US-Präsidenten denn solche Polizeistaatsmethoden rechtfertigen könne. Die Alternative Liste wollte den Innensenator entlassen sehen – einige der heutigen Akteure der Bundespolitik, wie beispielsweise Renate Künast, schäumten vor Empörung. Damals wurde über Polizeieinsätze und Sicherheitsmaßnahmen gestritten.

Jetzt 2013 sind wir einen Schritt weiter. Es gibt keine stigmatisierten Stadtteile mehr. Verdächtig ist ausnahmslos ein jeder überall. Auch unsere Bundestagsabgeordneten werden darum gebeten werden, sich besser nicht allzu sehr den Fenstern ihrer Büros zu nähern, weil das zu Missverständnissen führen könnte. Es gibt auch keine öffentliche Debatte mehr über das angemessene Verhältnis zwischen historischem Moment und den Belastungen, die damit im Stadtleben auftauchen könnten. Der US-Präsident redet hinter einer dicken Panzerglasscheibe vor wenigen Tausend, die Stunden vorher gründlich durchsucht werden. Die Hitze darf lediglich mit amtlich bereitgestellter Flüssigkeit ertragen werden, ein Sonnenschirm ist verboten und unser 93-jähriger Altbundespräsident erleidet einen Schwächeanfall und anschließend sind sich alle einig, dass Obamas Sätze keinen historischen Moment markierten – weder Kennedy noch Reagan. Sie waren nur in einem ein neuer Höhepunkt: Mehr Sicherheit geht kaum noch, will man Berlin nicht entvölkern, weil es als Kulisse für einen Auftritt gebraucht wird.

Das Bemerkenswerte an diesem Vorfall ist die Gleichmut, mit der hier die Stadt und ihre gewählten Repräsentanten dieses Regime ertragen.  Ab und an fragt ein Journalistenkollege noch, ob das denn wirklich alles notwendig sei. Aber er wird dann ganz schnell mit dem Satz abgewürgt, dass schließlich die Sicherheitsexperten schön wüssten, was richtig sei.  Wir sind, was solche Fragen betrifft, in einer Zeit gelandet, in der die Obrigkeit sich nicht etwa für ihr Tun zu rechtfertigen hat, sondern der Bürger verdächtig wird, wenn er selbiges infrage stellt.  So gesehen war der Obama-Besuch ein im Großen und Ganzen zwar noch erträglicher, dennoch unzweideutiger Rückfall in feudale Zeiten.

Und hinter dem Ablauf des Besuchs wird eine neue Routine erkennbar, die früher oder später zur Herausforderung für die demokratischen Strukturen werden wird. Die Abwägung zwischen den Interessen der Allgemeinheit und den Bedürfnissen einer Gruppe von Bürokraten, in diesem Fall der Sicherheitsbürokraten, findet nicht mehr statt. Die Politik, die Herrin dieses Prozesses sein sollte, hat kapituliert. Und sie tut dies, wie die Medien übrigens auch, weil sie die schönen Bilder so sehr liebt und die allermeisten Zuschauer ja nicht merken mussten, unter welchen Bedingungen diese zustande kamen.   

Das Konzept ging zunächst auch auf – sieht man einmal von einigen wenigen Berichten in der US-Presse ab, die die Frage aufwarfen, warum denn plötzlich ausgerechnet am Pariser Platz eine Panzerglasmauer installiert werden musste. Nur – da unterschätzen Journalisten und Politiker die Menschen. Die haben ein feines Gespür für die Merkwürdigkeiten solcher Ereignisse. Sie merken, dass ihre Politiker nicht mehr ihren Aufgaben gerecht werden. Dass sie zu oft sogenannten Experten freien Lauf lassen. Die machen dann, was aus ihrer Sicht zumut- und verantwortbar ist. Für die stellt sich die Frage nicht, ob man den Bürger die Nutzung seines Straßenbalkons untersagen darf. Denn sie leben ja davon, dass sie dies nötigenfalls auch dürfen.

Aber wenn die Demokratie dem Volk, dem Souverän, den Austritt auf den Balkon einfach mal so untersagt, dann tut sie auf ihre Art nichts anderes, als die Diktatur, die die Menschen zum Winken vom Balkon verpflichtet. 

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