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Meinung: Wo ist Gott?: Das Opfer spielt Gott

Was bewegte die Selbstmordattentäter vom 11. September?

Was bewegte die Selbstmordattentäter vom 11. September? Es waren gebildete Menschen, die Lebensmöglichkeiten hatten und lange in einer Gesellschaft lebten, die ganz anders dachte. Sie mussten ihre Pläne verbergen und ihren Tod mit einigen Mittätern über Jahre kühl und rational planen. Ging es ihnen um Gerechtigkeit?

Wenn das in uns allen tief verwurzelte Gerechtigkeitsempfinden lange zutiefst verletzt wird, erscheint mitunter die ungerechte Macht als durch und durch böse. Gewinnt sie den Anschein der Unbesiegbarkeit, dann drängt sich leicht das Bild einer übermenschlichen bösen Macht auf. Solche Bilder sind in den großen Religionen entstanden.

Wie lässt sich das Böse, wenn es so übermächtig erlebt wird, bekämpfen? Selbstmordattentäter finden selbst bei einem scheinbar unbesiegbaren Feind Stellen, wo sie ihren eigenen Durst nach "Gerechtigkeit" oder Rache stillen können. Die Selbstmordattentäter in den USA waren aber keine erregten Menschen, denn sie mussten über lange Zeit genau planen und konnten so den Fragen nach den möglichen Reaktionen des getroffenen Feindes kaum ausweichen.

Die Religionsgeschichte kennt noch ein anderes Motiv: das Opfer. Es gehört, wie René Girard zeigt, zum Herzstück der religiösen Welt. Durch die Opfer glaubten bedrohte Menschen, übermenschlich gefährliche Mächte für sich gütig stimmen zu können. Den Akt des Tötens erleben sie als furchtbar und fruchtbar, als zerstörend und heilbringend zugleich. Die abrahamitischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam) lehnen in ihrer reinen Form solche Vorstellungen ab, dennoch können sie in schweren Krisensituationen leicht erneut aufbrechen. So liegt die Vermutung nahe, dass die Attentäter vom 11. September jenseits aller politischen Kalküle letztlich vom Glauben an die Wirksamkeit des Selbstopfers bewegt wurden. Sie mögen gehofft haben, durch die Selbstzerstörung bei gleichzeitiger Zerstörung der zentralen Symbole der feindlichen Macht deren Untergang und den Anbruch einer gerechteren Zeit einleiten zu können.

Für die abrahamitischen Religionen ist Gott allein der Garant der Gerechtigkeit. Deshalb spielt der Gedanke des göttlichen Gerichtes eine entscheidende Rolle. Wenn es in der Bibel von Gott heißt "Mein ist die Rache", wird damit nicht ein rachesüchtiger himmlischer Herr beschworen. Sondern die Menschen werden aufgefordert, auf Vergeltung zu verzichten, sie Gott zu überlassen. Können sie aber dennoch am Gericht des Himmels mitwirken? Hier gehen die Vorstellungen in den Religionen auseinander. Mohammed hat persönlich mit seinen Anhängern kleine, siegreiche Kriege geführt. Muslime sahen darin ein Zeichen des Wirkens Allahs, was für sie in großen Notsituationen leicht den Glauben wecken kann, am Gericht Gottes durch eigene Gewalt mitwirken zu müssen. Vom Islam ist deshalb heute eine neue und klare Unterscheidung innerhalb seiner eigenen Tradition gefordert.

Die Terrorattentate vom 11. September zeigen, dass Probleme, die in alten religiösen Symbolen ihren Ausdruck fanden, auch die heutige Gesellschaft erschüttern. Selbst säkulare Staaten fordern in solchen Situationen von ihren Soldaten die Bereitschaft zum Opfer ihres Lebens.

Raym, Schwager

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