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Meinung: Wo kein Zitronengras wächst

Grüner Wahlkampfauftakt: Auf der Jagd nach den Wechselwählern – der SPD

Von Bernd Ulrich

Gestern Abend war es soweit. Nach Westerwelle (Guidomobil) und Schröder (Truck) ging auch Joschka Fischer (Bus) auf große Wahlkampffahrt. Ob es eine Reise in die Opposition sein wird oder eine zur Wiederwahl, steht noch nicht fest. Sicher ist nur, dass der grüne Spitzenkandidat sich nicht auf den „deutschen Weg“ begeben wird.

„Unser Deutscher Weg“ – das ist der neueste semantische Anschlag der Sozialdemokratie auf eine einigermaßen schlüssige und verständliche rot-grüne Wahlkampfstrategie. Gerhard Schröder hat am Montag in Hannover mehrmals davon gesprochen, Müntefering hat es wiederholt. Sie meinen damit, dass Deutschland nicht bedingungslos mit den USA in einen Irak-Krieg ziehen will und dass es hierzulande kein Hire&Fire geben darf. Das findet natürlich auch Fischer (ebenso sehr wie Stoiber). Doch hat der Grüne seinen Grünen die beiden Kriege, Kosovo und Afghanistan, mit dem Argument vermittelt, es dürfe „keinen deutschen Sonderweg“ geben. Ohnehin ruft Fischer stets laut „Europa“ dazwischen, wenn jemand Deutschland sagt. Linksnationale Rhetorik ist ihm fremd. Genauer: Sie ist ihm zuwider.

Doch sind die neuen deutschen Holzwege der SPD nicht die einzige Irritation beim Beginn des grünen Wahlkampfes. Die politisch teuren Billigreisen von Cem Özdemir (mit Rücktritt) und Rezzo Schlauch (ohne) werden noch einige Zeit den Elan der Grünen hemmen. Denn keine Partei geht mit ihren Spitzenpolitikern, wenn es um Geld geht, so restriktiv um wie die in weiten Teilen immer noch öko-calvinistischen Grünen.

Trotzdem wird es Joschka Fischer nicht allzu schwer fallen, die eigenen Stammwähler zu mobilisieren. Dafür waren die grünen Konturen in der Regierungsarbeit deutlich genug zu erkennen. Und es gibt, zum Glück, immer noch viele Menschen, die sich sehr dafür interessieren, wie es den Tieren, den Pflanzen und dem Klima geht. Dafür stehen Renate Künast und auch Jürgen Trittin.

Dies und die relativ leichte Dämonisierbarkeit des Trios Stoiber, Westerwelle und vor allem Möllemann für das grüne Milieu dürften zusammen mit Fischers eigener Popularität die Partei deutlich über die Fünf-Prozent-Hürde hieven. Das ist nach einer Legislaturperiode mit zwei Kriegen und zahllosen Ernüchterungen schon ein Erfolg. Aber es hilft nicht viel, wenn die Partei dann doch aus der Regierung fliegt. Das zu verhindern, dazu kann der grüne Wahlkampf allerdings wenig beitragen. Und das liegt nicht allein an der irrlichternden SPD.

Es hat auch mit einer strategischen Fehlentscheidung der grünen Führung zu tun. Oder vielleicht ist das Wort „Strategie“ angesichts des Zufalls- und Chaosanteils heutiger Politik der falsche Ausdruck. Jedenfalls hat es sich so herausgemendelt, dass auch die Grünen seit längerem eine konventionell soziale, ja sozialdemokratische Politik betreiben. Mehr Staat, Kündigungsschutz, Gesamtschulen, Tarifrecht – es fällt schwer, noch Unterschiede zur SPD zu erkennen.

Die Sozialdemokratisierung der Grünen hat mehrere Gründe. Fritz Kuhn erstickte anders geartete Anläufe von Rezzo Schlauch oder Oswald Metzger (der wurde dann von der Basis abgewählt). Frank Bsirske, ein zutiefst sozialdemokratischer Gewerkschafter, der zufällig als Grüner firmiert, wurde zum mächtigen Verdi-Chef und trug per Handy und Hinterzimmer nicht wenig dazu bei, dass die Grünen sich vergewerkschafteten. Schließlich fühlte sich Fischer in den letzten Wochen genötigt, dem kampfunwilligen Kanzler dessen SPD-Melodie vorzusummen.

Alles zusammen führt dazu, dass die Grünen im bürgerlichen Lager wenig Stimmen holen können. Die gesundheitsbewussten Gourmets, die Zitronengras–Grünen (FDPler mit dem etwas schlechteren Gewissen) wurden vernachlässigt. Bleiben nur die Wechselwähler zwischen SPD und Grünen – für Rot-Grün ein Nullsummenspiel.

Die linksgrüne, öko-sozialdemokratische Strategie könnte nur aufgehen, wenn der Kanzler entsprechend mehr Stimmen in der Mitte holte. Nur ist der gerade vollauf damit beschäftigt, mit einem linksnationalen Wahlkampf à la Lafontaine die eigene Stammwählerschaft an die Urne zu locken. Hoffen können sie trotzdem. Beide sind unterwegs, Fischer im Bus, Schröder im Truck. Und wer weiß, auf wen der Genosse Zufall wartet.

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