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Meinung: Womit müssen wir bei der Bahn im Winter rechnen?

„Regionalzüge fehlen“ vom 5. September Im Winter werden wieder Regionalzüge fehlen, klagt der Vorstand von DB Regio, Herr Sennhenn.

„Regionalzüge fehlen“ vom 5. September

Im Winter werden wieder Regionalzüge fehlen, klagt der Vorstand von DB Regio, Herr Sennhenn. Möchte er nur die Reisenden auf erneute Unzulänglichkeiten beim DB-Zugangebot hinweisen? Herr Sennhenn leitet seit 2009 DB Regio und sollte nun wissen, wie er die Aufgaben löst, bevor er Fahrgäste auf kalten Bahnsteigen an Zugausfällen verzweifeln lässt. 2007 sind die Nahverkehrszüge „Talent 2“ bestellt worden, die jetzt untätig die Abstellgleise füllen. Warum fallen Missstände an den Fahrzeugen erst auf, wenn diese fertiggestellt sind? Schade, dass das Eisenbahn-Bundesamt und der Fahrzeughersteller die Beanstandungen nicht zügig ausräumen können!

Schön auch, dass der Auftraggeber DB seine Verträge hinreichend wasserdicht macht, was Zahlungen und Vertragsstrafen angeht. Nur zu schade, dass aber an die Fahrzeug-Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit und damit an den Kunden erst nachrangig gedacht wird! Folgen die DB-Vorstände immer noch der Vorstellung des früheren Vorstandes Herrn Dürr, dass Bahnfahrzeuge Industrieprodukte sind, die wie die Autos von Anfang an mängelfrei funktionieren?

Es wird Zeit, dass die DB als AG im Staatsbesitz sich ihrer eigentlichen Aufgabe, der Beförderung von Personen und Gütern, besinnt und zwar zu den vereinbarten Bedingungen ohne Abschläge oder Kompromisse bei der Leistung.

Der Abo-Fahrpreis ist bei Minderleistung auch nicht verhandelbar.

Hartmut Pernotzky, Berlin-Moabit

In einem politischen Kraftakt wurde Ende 1993 die Bahnreform verabschiedet. Aus Bundesbahn und Reichsbahn wurde die Deutsche Bahn. Ein wichtiges Ziel war die Regionalisierung des Nahverkehrs. Die Verantwortung für den Nahverkehr wurde auf die Bundesländer übertragen. Da im Nahverkehr die Fahrgeldeinnahmen nicht die Kosten decken, wurde außerdem beschlossen, dass die Leistungen des Nahverkehrs im Wettbewerb an die Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) vergeben werden sollen, die die Verkehrsleistung für den geringsten Zuschussbedarf bei Einhaltung bestimmter Qualitätsstandards erbringen. Das Angebot konnte in den letzten Jahren deutlich ausgeweitet werden. Im Nahverkehr wurden 1996 insgesamt 539 Mio. Zugkilometer gefahren, bis zum Jahr 2010 stieg das Angebot auf 633 Mio. Zugkilometer. In der gleichen Zeit stieg die Anzahl der Fahrgäste von 1,53 Mrd. im Jahr 1996 auf 2,24 Mrd. im Jahr 2010, dies entspricht einer Zunahme von rund 50 Prozent und ist eine wahre Erfolgsgeschichte.

Leider ist der Nahverkehr trotz dieser Verkehrszuwächse nicht kostendeckend. Die regionalen Aufgabenträger schreiben deshalb weiterhin die Verkehrsleistungen im Wettbewerb aus, um für die knappen Mittel, die aus dem Regionalisierungsgesetz zur Verfügung stehen, möglichst viele Verkehrsleistungen zu bestellen.

Um diese Aufträge bewerben sich DB Regio und andere Eisenbahnverkehrsunternehmen. Derzeit wird in den meisten Ausschreibungen der Einsatz von Neufahrzeugen gefordert. Hierdurch soll nicht nur die Qualität der Züge verbessert werden, sondern es soll auch verhindert werden, dass sich nur die EVU bewerben, die bereits am Markt vertreten sind und mit alten Fahrzeugen in den Wettbewerb gehen könnten. Alle Unternehmen treten nun mit Fahrzeugen an, die aktuell von der Industrie angeboten werden. Bei der Konstruktion wirkt bewusst kein EVU mehr mit. Kein EVU übernimmt die Kosten für die Begleitung der Entwicklung von Fahrzeugen, wenn dann mit eben diesen Fahrzeugen plötzlich die Konkurrenz die Ausschreibung gewinnen kann. Aus diesem Grund hat sich die zu Unrecht gescholtene DB aus der Begleitung der Fahrzeugproduktion zurückgezogen.

Alle EVU bestellen Fahrzeuge und das Eisenbahn-Bundesamt als der „Bahn-TÜV“ muss diese Fahrzeuge zulassen. Leider wird den Fahrzeugen oft die Abnahme verweigert. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Die Produktion von Bahnfahrzeugen ist nicht mit der Autoindustrie vergleichbar, es handelt sich trotz aller Produktionsfortschritte und Standardisierungen um Handarbeit. Fehler können deshalb erst bei Probefahrten erkannt werden. Eine Abnahme von Fahrzeugen mit eingeschränkter Verfügbarkeit durch die EVU ist auch im Interesse der Kunden nicht zumutbar.

Wenn jetzt mögliche Probleme im kommenden Winter diskutiert werden, dann gilt das ganz allgemein im Nahverkehr. Der letzte Winter zeigte aber, dass es neben den Fahrzeugen auch Probleme beim Fahrweg gab, z. B. eingefrorene Weichen. Beachtet werden muss aber auch, dass bei schlechtem Wetter und Beschränkungen im Straßenverkehr plötzlich erheblich mehr Fahrgäste die Bahn nutzen wollen. So erfreulich das ist, mehr Fahrgäste bedeuten aber auch längere Haltezeiten in den Stationen als üblich, und schon gibt es eine weitere Ursache für Verspätungen.

Eine komplexere Technik, die das Leben und auch Bahnfahrten angenehmer macht, ist anfälliger für Störungen. Vielleicht hilft die derzeitige Diskussion, dass alle sich in ihrem Bereich besser auf den nächsten Winter einstellen und so bereit sind, entstehende Unregelmäßigkeiten schnellstmöglich abzustellen.

— Professor Dr.-Ing. Thomas Siefer, Geschäftsführender Leiter des Instituts für Verkehrswesen,

Eisenbahnbau und -betrieb der TU Braunschweig

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