zum Hauptinhalt

Meinung: Wowereits subventionierter Provinzmüll

Roger Boyes, The Times

Mit Freude habe ich gesehen, dass Klaus Wowereit in Namibia war. Er wird dort dringend gebraucht. Ich habe es nicht durchgerechnet, aber ich vermute, dass Berlins Schulden mindestens 50-mal größer sind als das namibische Bruttoinlandsprodukt. Vielleicht kann uns Namibia – ein wunderschönes Land mit Seelöwen, die Wagner tröten können – helfen. Das Land exportiert Diamanten und Sardinen, da kann man nicht falsch liegen.

Die Auslandsreisen von Wowereit bleiben, ehrlich gesagt, mysteriös. Wir haben zum Beispiel nie herausgefunden, warum der Regierende damals in Mexiko einen Sombrero aufhatte. Kam es danach zu einem Anstieg mexikanischer Investitionen in der Stadt? Eher nicht, es sei denn, man rechnet die Steak Bar in Charlottenburg dazu, in der ich mir mal eine Lebensmittelvergiftung zugezogen habe. In Wirklichkeit flieht Wowereit von seinem Schreibtisch: In einer von so großen Schulden gebeutelten, so schlecht regierten und so ideenlosen Stadt bleibt einem Bürgermeister gar nichts anderes übrig, als Hände zu schütteln und sich Ausreden für neue Reisen auszudenken.

Seine Popularität im Ausland basiert vor allem auf einem Missverständnis: Als „Time“ ihn mit einigen anderen Bürgermeistern auf den Titel hob, hatten die naiven Reporter die Illusion, Wowereit betreibe ein mutiges Sozialexperiment – die Verschmelzung zweier Städte, Ost und West. Dabei ist, wie wir wissen, lediglich der Westen östlicher geworden. Mitte ist eine eigene Republik und Marzahn ähnelt immer mehr Swerdlowsk.

Es führt zugegebenerweise eine Achse von Wowereit über den exzentrischen Londoner Bürgermeister Livingstone zu dem von Paris, Bertrand Delanoe, einem weiteren Christopher-Street-Day-Fan. Aber das wird ausgeglichen durch die Anti-Schwulen-Front in Warschau und Moskau, beides Städte, zu denen ein Berliner Bürgermeister Kontakt pflegen sollte. Die vielleicht größte Fehleinschätzung liegt darin, Wowereit als Erben der Spaßrepublik zu sehen. Jeder, der mehr als fünf Minuten mit Wowereit verbracht hat, weiß, dass er kein großer Entertainer ist. Das Missverständnis mag aus unzureichenden Englischkenntnissen resultieren: Jahrhundertelang wurden „gay“ und „fun“ als Synonyme verwendet. Gleichwohl glaubt der Rest der Welt immer noch, Berlin sei durch diesen Bürgermeister spannend geworden. Und Wowereit glaubte das auch, bis zu seiner Simonis-Schlappe. Wie andere Muttersöhne ist er davon überzeugt, dass er unkritisch geliebt wird. Wowereit war niemals ein Innovator, er liest dafür nicht genug, denkt nicht genug. Er hat jedoch ein Talent für Improvisation.

Das nun ist meine Herausforderung an Wowereit: Er sollte versuchen, seine übrige Amtszeit dazu zu nutzen, die Organisation der Kultur in dieser Stadt zu revolutionieren. Und dabei meine ich nicht, in der ersten Reihe zu sitzen, wenn Kirsten Harms wieder einmal „Idomeneo“ aufführen lässt. Aber er könnte mit etwas Geld, mit viel Enthusiasmus und mit noch mehr Improvisationstalent sicherstellen, dass die Welt auf Berlin schaut. Es wird zu viel subventionierter Provinzmüll in den Theatern aufgeführt. Warum kann nicht etwas von dem experimentellen, internationalen Flair der Berliner Festspiele die Stadt ganzjährig erfüllen?

Der große Test ist die Berlinale. Jedes Jahr gibt Wowereit den großen, weichen Labrador, der voll Freude hechelt, wenn Hollywood einfliegt. Es gibt Partys, gute und schlechte, und dann verlässt der Zirkus wieder die Stadt – und Berlin kehrt zum grauen Mittelmaß zurück. Wowereit sollte eine Verbindung schaffen zwischen dem Berlinale-Glamour und dem wirklichen Berlin. Denn das ist eine wahre Filmstadt, nicht nur wegen Babelsberg. Beispiel: Zwei junge „location scouts“, die Drehorte für Filme suchen, möchten während der Berlinale ihre Bilder vom geheimen Berlin vorstellen. Solche Scouts sind Voyeure, und diese beiden, Iris Czak und Marei Wenzel, haben Berlin offen gelegt. Sollten die Regisseure, die zur Berlinale in die Stadt kommen, nicht sehen, was für ein wunderbarer Ort zum Drehen Berlin ist?

Aber niemand ist bereit, die beiden zu unterstützen, die Kulturverwaltung interessiert sich nicht. Wir halten Wowereit ja schon nicht mehr für Superman. Aber noch hat er die Chance, zu zeigen, dass er, indem er Leben in die Kultur bringt, mehr ist als ein karrieristischer Junge aus Tempelhof.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false