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Kindstötungen: Zustand der Überforderung

Es wirkt wie der Inbegriff von Grausamkeit: Eine Frau bringt ein Kind zur Welt und nimmt ihm das Leben. Viermal fanden Polizisten in der vergangenen Woche die Leichen von Babys, vergraben im Garten, versteckt im Keller, abgelegt – entsorgt?

Es wirkt wie der Inbegriff von Grausamkeit: Eine Frau bringt ein Kind zur Welt und nimmt ihm das Leben. Viermal fanden Polizisten in der vergangenen Woche die Leichen von Babys, vergraben im Garten, versteckt im Keller, abgelegt – entsorgt? – im Komposter. Im Fall der beiden in Bayern gefundenen Kinderleichen laufen Ermittlungen. Die Mütter der beiden getöteten Brandenburger Babys haben gestanden. In dürren Worten versuchen Polizisten oder Staatsanwälte dann zu erklären, was man meint, nicht verstehen zu können. Von Labilität ist die Rede und von Überforderung.

Und das in einem Staat, in dem man sich von Hilfsangeboten fast umstellt vorkommen kann. In dem seit vielen Jahren über Babyklappen gesprochen wird und dessen Regierung vor ein paar Monaten ein Gesetz zur „vertraulichen Geburt“ auf den Weg gebracht hat. Wie kann es da sein, fragt man sich, dass eine Mutter ihr Kind tötet? Kann man durch diese Welt gehen und von Sozialämtern nichts wissen, von Babyklappen, vertraulichen Geburten und Kindergeld?

Weil Kindstötungen im Vollkasko-Sozialstaat einen besonders grausamen Zug haben, sind zumal die gesellschaftspolitischen Erklärungsversuche auch oft etwas gröber. Der frühere brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm sprach vor Jahren von Werteverlusten der Ostdeutschen und führte dies auf die Proletarisierung in der DDR zurück. Der Kriminologe Christian Pfeiffer sagte, er kenne Zahlen, denen zufolge viel mehr Kinder getötet würden als in Westdeutschland. Andere Forscher bestritten das. Tatsächlich sind in den vergangenen Jahren auch immer Fälle aus Westdeutschland bekannt geworden, die der scheinbaren Verwahrlosung in Ostdeutschland in nichts nachstanden. Jene Mutter aus dem schleswig-holsteinischen Darry zum Beispiel, die 2007 ihre fünf Söhne tötete, war dem sozialpsychiatrischen Dienst bekannt. Verwahrlost erschien nach der Tat vor allem das Amtsverständnis einiger Behördenmitarbeiter, die Gründe hatten, sich zu kümmern, das aber nicht taten.

Womöglich führen all die Überlegungen zum Vollkasko-Staat, zu behördlichen Zuständigkeiten und zu noch mehr Hilfsangeboten in die falsche Richtung. Der forensische Psychiater Hans-Ludwig Kröber hat vor Jahren Fälle vorsätzlicher Kindstötung untersucht. In einem Vortrag unterschied Kröber jenseits der Psychose als Ursache vier Situationen, in denen Neugeborene einfach stören. Da sind genervte, sich terrorisiert fühlende Eltern. Da sind Mütter, die sich vor die Entscheidung Partner oder Kind gestellt sehen. Da sind Mütter, die das Kind benutzen, um ihren Partner zu bestrafen. Und da sind Mütter, die sich am Kind rächen – für was auch immer.

Solche Konflikte sind – privat. Der Staat kann noch so viele Babyklappen und vertrauliche Geburten ermöglichen, es wird denen nicht helfen, die aus einer Krise nur einen brutalen Ausweg sehen. Der Sozialstaat sieht eben nicht alles, seine Versorgungsbemühungen können nicht allumfassend sein, sie weisen ein paar blinde Flecken auf. Wer den Staat in Anbetracht erstochener, erstickter Babys noch stärker einbeziehen wollte, der müsste so etwas wie eine Schwangerschaftsmitteilungspflicht fordern: Damit kein Hilfsangebot unerwähnt bleibe. Vorher wäre zu fragen, warum sich Menschen manchmal nicht mehr mitteilen. Auch Mütter toter Babys haben Nachbarn und Bekannte.

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