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Meinung: Zuwanderung: Warten auf Süssmuth

Kerstin Müller, grüne Fraktionschefin, hat ein neues Lieblingswort: die "Koch-Keule". Das meint die Bereitschaft der Union, auf Rot-Grün einzudreschen, wo immer deren Ausländerpolitik als zu liberal empfunden wird.

Kerstin Müller, grüne Fraktionschefin, hat ein neues Lieblingswort: die "Koch-Keule". Das meint die Bereitschaft der Union, auf Rot-Grün einzudreschen, wo immer deren Ausländerpolitik als zu liberal empfunden wird. In Hessen war das der Doppelpass; im Bundestagswahlkampf 2002 könnte das ein Zuviel an Einwanderung sein.

Die Grünen verstehen also die Befürchtungen ihres großen Koalitionspartners. Immerhin räumen ja höchste SPD-Genossen ein, die Zuwanderungs-Politik der Sozialdemokraten sei "angstgetrieben". Und so wird eben nun die Tagesparole "Konsens" ausgegeben. Konsens - das meint den mit der Union, nicht den mit den Grünen. Das klingt selbstlos-überparteilich. Wer wollte schon gegen einen Konsens wettern?

"Konsens" ist die strategische Variante dessen, was inhaltlich "Qualifikation" heißt. Qualifikation ist ein Code-Wort für den Vorrang für in Deutschland Lebende, ob arbeitslos oder beschäftigt, ob deutsche oder ausländische Staatsbürger. Wie wichtig für die SPD der Versuch ist, die Zuwanderung aus dem Wahlkampf herauszuhalten, war am Montagabend zu besichtigen, als die Koalitionsspitzen im Kanzleramt zusammensaßen. Da ging es um das Verfahren - und natürlich auch um Inhalte.

Am 4. Juli soll die Regierungskommission unter Rita Süssmuths Vorsitz ihre Ideen präsentieren. Dann prüft die SPD in Partei und Fraktion, dann kommen Eckpunkte der Regierung, dann, im Herbst, folgt das Gesetzgebungsverfahren. Franz Müntefering ist derjenige, der den Konflikt mit den Grünen klein- und die potenzielle Übereinstimmung mit der Union derzeit großzureden hat. Wer frühere Äußerungen von Edmund Stoiber neben heutige des SPD-Generalsekretärs legt, hätte bei der Zuordnung gewaltige Probleme. Der Kanzler selbst sekundiert mit Sätzen wie jenem, die Zuwanderung müsse aus dem Wahlkampf herausgehalten werden - "ich hoffe, dass es so gelingt".

Über Süssmuth kann er sich nur freuen. Die Arbeitsgruppe der Ex-Bundestagspräsidentin erfüllt einen doppelten Zweck. Sie entschuldigt, dass die SPD als einzige Partei noch kein Konzept hat - alles andere wäre ja ein unfeines Vorpreschen gegenüber der eigens berufenen Kommission. Gleichzeitig wird diese durch Nachtsitzungen wie die gestrige entwertet. Die wahren Eckpunkte sind längst klar: Vorrang für die Qualifizierung, eine Politik der Miniaturschleusen. Versuchsballons wie jene, die derzeit aus der Süssmuth-Kommission aufsteigen (20 000 Dauer-Aufenthaltsgenehmigungen und 20 000 befristete jeweils für Hochqualifizierte), machen den Himmel für die SPD noch blauer. Und für die Union auch.

Beide Volksparteien haben ein Interesse an kleinen Lösungen, an geräuschlosen Verfahren, am Abbau von Überfremdungsängsten. Die FDP reagiert bereits und will ihren eigenen, den umfassendsten Zuwanderungs-Entwurf überhaupt, im Wahlkampf offensiv vertreten, wenn die Großen den gewünschten Konsens denn doch der Einsicht opfern sollten, dass in Zeiten stagnierender Wirtschafts- und Arbeitsmarktdaten Neueinwanderer politisch nicht opportun sind. Für die Liberalen ist dies eine Chance, sich als weltoffen, tolerant und modern zu präsentieren. Die Grünen dagegen sind in einer Zwickmühle. Der Kompromiss, den sie regierungsintern erstreiten können, wird kaum freiheitlicher aussehen als das CDUPapier von Peter Müller. Die Alternative heißt Konflikt.

Das Warten auf Süssmuth ist für die Regierung zunächst eine bequeme Galgenfrist. Wie es aussieht, wird in der Kommission etwas herauskommen, hinter dem die SPD sich auch weiter wird verstecken können. Das wäre dann der Preis, den Deutschlands Zukunft für die taktische Not der Sozialdemokratie zu zahlen hat.

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