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Jakob Lena Knebl ließ sich ein Mondrian-Muster auf den Leib malen und nannte die Körperkunst „Piet 1“ (2012/2022).

© VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Courtesy Jakob Lena Knebl

Mondrian und die Folgen in Wolfsburg: Das Eckige muss ins Runde

Das Kunstmuseum Wolfsburg beleuchtet die Nachwirkungen Mondrians in Kunst, Design, Mode und Alltagskultur – und bürstet seinen Dogmatismus gegen den Strich.

Von
  • Nicole Büsing
  • Heiko Klaas

Ein Kunstwerk, das war für ihn „der reingestaltete Ausdruck des Universellen“, konstituiert durch die Darstellung von Farbe und Linie an sich. Piet Mondrian (1872-1944) hielt nicht viel von naturnaher Darstellung in der Malerei. Zumindest seit er noch vor dem Ersten Weltkrieg in Paris den Kubismus kennengelernt hatte.

1914 zurückgekehrt nach Holland, wandelte sich der Maler, der zuvor Porträts und nebelverhangene Landschaften gemalt hatte, zum rigorosen Verfechter einer konkreten Kunst, deren Prinzipien er in theoretischen Texten darlegte und gegen Kritiker verteidigte. Seine Kunst speiste sich aus rechteckigen Farbflächen in den Primärfarben Rot, Gelb und Blau, die er mit schwarzen Linien zu immer wieder neuen Bildvarianten zusammenfügte.

Mit der Ausstellung „Re-Inventing Piet. Mondrian und die Folgen“ präsentiert das Kunstmuseum Wolfsburg das bis heute nachhallende Echo seiner Ästhetik. Museumsdirektor Andreas Beitin und seine Co-Kuratorin Elena Engelbrechter haben rund 150 Exponate zusammengetragen, die Mondrians Einfluss auf Kunst, Mode, Design, Alltagskultur und Architektur dokumentieren.

Am Anfang der Schau stand ein partizipatives Projekt. Unter dem Motto „Bring your own Mondrian“ waren Besucher:innen aufgerufen, „Mondrianalien“ mit ins Museum zu bringen. Kaffeebecher, Handtücher, T-Shirts, ein Rennrad und viele andere private Objekte füllen jetzt ein riesiges Stahlregal und vermitteln einen Eindruck von der oft dreisten Popularisierung seiner Bildsprache durch kommerzielle Anbieter.

Etliche künstlerische Annäherungsweisen dagegen zeigen, wie es besser geht. Persiflierende und ironische Paraphrasen sind in der Wolfsburger Schau ebenso erlaubt wie freundschaftliche Hommagen oder radikale Dekonstruktionen. Sie müssen allerdings intelligent und mit Verve daherkommen.

Das Kurator:innenduo selbst gibt die Richtung vor, indem es den Feind alles Runden in einer runden Ausstellungsarchitektur präsentiert. Werke aus der Schaffensphase „Neue Gestaltung“ zwischen 1913 und 1936 stellen die Querverbindung zu den zahlreichen Mondrian-Variationen in der Schau.

Hommage an Piet Mondrian in Gestalt eines Cocktailkleides von Yves Saint Laurent, aus der Haute-Couture-Kollektion der Herbst/Winter-Saison 1965.

© Yves Saint Laurent

Da wären die aus tiefer Bewunderung resultierenden Arbeiten der britischen Künstlerin Marlow Moss und der Amerikanerin Lee Krasner. Beide griffen Mondrians Malstil auf, erlaubten sich aber Modifikationen. So verdoppelte Moss selbstbewusst die schwarzen Linien. Ein Detail, das Mondrian später begeistert aufnahm.

Mit Lee Krasner wiederum ging im New Yorker Exil in Jazz-Clubs tanzen und ließ sich zu seinem letzten Meisterwerk „Victory Boogie Woogie“ (1944) inspirieren. Das hängt jetzt im Gemeentemuseum in Den Haag und wird nicht ausgeliehen. Doch in Wolfsburg wird schließlich keine Mondrian-Retrospektive wie zuletzt in Düsseldorf gezeigt, sondern die Rezeptionsgeschichte.

Da ordnet die Schweizerin Sylvie Fleury 60 Damenstiefel im Mondrian-Design zu einem Kreis – und entleert durch die schiere Überpräsenz deren Fetischcharakter. Der Franzose Mathieu Mercier wiederum provoziert mit Do-it-Yourself-Mondrians aus brüchigen Sperrholzplatten, die er mit Farbfolie und Isolierband beklebt. Und die queere Österreicherin Jakob Lena Knebl macht ihren nackten Körper zur Leinwand, indem sie ihre Rundungen mit einem Mondrian-Muster bemalen lässt.

Dazwischen Architekturmodelle, Yves Saint Laurents von Mondrian inspirierte Cocktailkleider aus den Sixties, ein Video, in dem der kolumbianische Künstler Iván Argote zwei (zum Glück unter Glas befindliche) Mondrian-Bilder im Pariser Centre Pompidou besprüht. Ein Baselitz aus der Remix-Serie „Drug (Remix)“ von 2008 deutet eine Verschmelzung der Konterfeis von Mondrian und Hitler an.

An ein Hakenkreuz erinnernde schwarze Linien weisen in dieselbe Richtung. Angesichts der Tatsache, dass Mondrian von den Nazis als „entartet“ diffamiert und zur Flucht gezwungen wurde, bleibt allerdings schleierhaft, warum Georg Baselitz sich zu einer derart hohlen Provokation hinreißen ließ.

Als Epilog präsentiert das Kurator:innenduo Bas Jan Aders Video „Primary Time“ von 1974, das den berühmten Landsmann zeigt, wie er aus roten, gelben und blauen Blumen ein stimmiges Arrangement zusammenzustellen versucht, aber offenbar immer wieder an seinem hohen Anspruch scheitert. Vielleicht die berührendste Arbeit dieses kuratorischen Parforceritts durch Mondrians Nachhall in High and Low.

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