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Politik: ... aus Angst Tomate wird

Aus einer neuen Umfrage wissen wir: Die Angst der Deutschen, weltweit als „German Angst“ gerühmt, hat ein wenig abgenommen. Die Hessen leiden am wenigsten unter ihr, die Brandenburger am meisten.

Aus einer neuen Umfrage wissen wir: Die Angst der Deutschen, weltweit als „German Angst“ gerühmt, hat ein wenig abgenommen. Die Hessen leiden am wenigsten unter ihr, die Brandenburger am meisten. Kein Wunder: Brandenburg ist jenes Bundesland, dessen Bürger zum großen Teil noch lange nach der Wende in einer Art GoodBye-LeninSyndrom lebten und Manfred Stolpe für das menschliche Antlitz des Sozialismus hielten. Damit ist es vorbei, Stolpes Nachfolger Platzeck kann niemandem mehr glaubhaft den Hortplatz bis zum Rentenalter versprechen, und deshalb ist er zur Zielscheibe vielfältiger Aggressionen geworden. Jetzt zum Beispiel wurde er in Finsterwalde von einer Tomate nur knapp verfehlt.

Na und? ließe sich einwenden, der Kanzler hat ja sogar das Ei von Wittenberge überstanden und Lafontaine jenes von Leipzig – aber das geht am juristischen Kern der Sache vorbei. Der besteht in der Farbe der Tomate: War sie grün und mithin hart, liegt nach Auffassung der zuständigen Staatsanwaltschaft versuchte Körperverletzung vor, war sie rot und weich, wäre es nur versuchte Sachbeschädigung. Für rot-grüne Tomaten allerdings wäre ein Gutachten eines Biologieprofessors einzuholen, und im Falle jener Tomatensorten, die auch im aromatisch-reifen Zustand noch grün sind, käme die Rechtsfindung vermutlich ganz zum Erliegen.

Faule, mit gesundheitsschädlichen Substanzen behaftete Tomaten würden dagegen klar den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung erfüllen. Bei Gurken hinge die Bewertung wohl von der Größe ab und ob ein Schraubglas drumherum ist, während Spargel sich schlecht werfen lässt und Auberginen und Zucchini mangels Popularität in der Mark ohnehin keine Rolle spielen.

Doch Gemüse ist für den Protestierer sowieso nur zweite Wahl. Das Ei bleibt die Nummer eins – und wirft noch größere Probleme auf. Roh, das bedeutet Sachbeschädigung, hart gekocht läuft auf Körperverletzung hinaus. Aber was ist, wenn Vati nach dem Frühstück empört zum Ministerpräsidenten loszieht und das wachsweiche Fünf-Minuten-Ei einsteckt? Sollte er es vorsichtshalber vor dem Abwurf pellen? Salzen? Noch schlimmer wird es, wenn er das Ei vorher planmäßig faulen ließ und so eine biologische Bombe züchtete: ein Fall für das Kriegswaffenkontrollgesetz.

Wir sehen: Es gibt unendlich viele Dinge, die ein Wahlkämpfer bedenken muss, bevor er seiner Betroffenheit juristisch einwandfrei Ausdruck verleihen kann. Er könnte auf das Werfen freilich auch ganz verzichten. Aber würden wir ihm dann die Angst glauben? bm

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