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Politik: … die Toskana unter den Teppich gekehrt wird

Oh, Joschka, welch Lebenslauf! Vom Messdiener und leitenden Haudrauf der Frankfurter Putzgruppe zum größten anzunehmenden Außenpolitiker und zurück zum Balkongärtner in Prenzlauer Berg – das hätte für mehr als ein Leben gereicht.

Oh, Joschka, welch Lebenslauf! Vom Messdiener und leitenden Haudrauf der Frankfurter Putzgruppe zum größten anzunehmenden Außenpolitiker und zurück zum Balkongärtner in Prenzlauer Berg – das hätte für mehr als ein Leben gereicht. Doch was bleibt davon? Nur ein Pensionär in Nadelstreifen, der als Zeuge vor Gericht missmutig feststellt, sein Erinnerungsvermögen sei leider „sehr wenig belastbar“.

Wenn dieser Löschungsprozess so weitergeht, werden wir ohne Hilfe von Historikern bald nicht einmal mehr wissen, wer überhaupt damals Außenminister unter Schröder war. Doch leistet das Auswärtige Amt, dem Fischer so lange vorstand, wenigstens etwas Erinnerungsarbeit?

Im Gegenteil. Wie wir einem Vorabbericht der „Zeit“ entnehmen, passiert demnächst das Gegenteil. Frank-Walter Steinmeier, der Nachfolger, lässt im Chefbüro eine graue Masse auf den Boden auftragen, darüber eine Kunststoffschicht, schließlich grauen Teppich. Darunter verschwindet, wir ahnen es: Fischers handgestrichene Terrakotta-Fliesen.

Es ist dies nicht weniger als das symbolische Ende der ohnehin längst verblassten Toskanafraktion. Getilgt der offensive Hedonismus der Ex-Enkel, gelöscht die Glut der Cohibas, verstaubt die Kragen der Brioni-Anzüge. Nur Oskar Lafontaine, der notorische Gourmet, lässt in seiner Saarbrücker Villa, einer Ikone der deutschen Stammtisch-Toskana, noch die alte Lust an Saus sowie Braus durchblitzen. Doch weiter als er kann niemand von der Regierungszentrale entfernt sein.

Dort gibt man sich nun grau in grau. In Nadelfilz womöglich, dem härenen Ebenbild der deutschen Befindlichkeit: saug- und strapazierfähig, mit biegsamem Schaumrücken und eingewebtem Hartz-IV-Faktor gegen handgeknüpfte Höhenflüge. Vermutlich werden nun noch Joschkas letzte Barolos beim nächsten Fest des SPD-Ortsvereins Mitte im Glühwein verklappt, dann ist endgültig Schicht.

Aber! Es gibt da eine Feinheit: Die Fliesen sind geblieben. Unter dem Teppich. Dort ruhen sie, dem Auge entzogen, nicht aber dem kollektiven politischen Gedächtnis, das sich schon immer stark für Bodenbeläge interessierte. Um es in den leicht abgewandelten Worten von Joschka F. zu sagen: Unter dem Teppich liegt das Pflaster. Auf den ersten Blick ein Spruch, nichts weiter. Aber wir wissen noch ganz gut, welche Sprengwirkung er damals entfaltet hat. Der neue Außenminister sollte nie vergessen, dass er sich in seinem Büro auf historisch geprägtem Boden bewegt. bm

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