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Die Nebenklage-Anwälte Eberhard Reinecke und Reinhard Schön.

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100 Tage NSU-Prozess: Eberhard Reinecke: „Die Lage von Frau Zschäpe wird sich noch verschlechtern“

Die Nebenklage-Anwälte Eberhard Reinecke und Reinhard Schön sind in ihrem Zwischenfazit der Meinung, dass die Beweisaufnahme die Anklage bisher bestätigt.

Wir haben beide bereits Erfahrungen, auch auf Seiten einer Nebenklage, in so genannten  Umfangsverfahren, das heißt in großen Prozessen. Eines dieser Verfahren war das zum  Brandanschlag auf das türkische Haus in Solingen. Uns war daher von Anfang an klar, dass das NSU-Verfahren durchaus eine Belastung bedeuten kann. Wobei die Arbeitsbelastung in München selbst nicht so gravierend ist, sondern vor allen Dingen die Aufrechterhaltung des übrigen Kanzleibetriebes.

Wir sind der Meinung, dass die Beweisaufnahme bisher weitgehend die Anklage bestätigt hat. Aus unserer Sicht gibt es keine vernünftigen Zweifel daran, dass die angeklagten Mordtaten durch Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos begangen wurden. Wir haben auch nicht den Eindruck, dass dies irgendein Verteidiger in Abrede stellt. Bei Frau Zschäpe kommt hinzu, dass wir sie auch der Brandstiftung für überführt halten. Und die ist durchaus als versuchter Mord zu werten. Über diese Einzeltat hinaus ist diese Reaktion Zschäpes auf den Tod von Böhnhardt und Mundlos, wie aber auch das aus unserer Sicht nachgewiesene Verschicken der Bekenner-DVD des NSU, nur erklärbar, wenn Frau Zschäpe auch in die ganzen früheren Taten eingeweiht war. Wir sehen auch – wie wir mit unseren Beweisanträgen zum „Pogromly-Spiel“ des NSU und den sichergestellten Gegenständen in Zschäpes einstiger Wohnung in der Jenaer Schomerusstraße deutlich gemacht – den klaren Nachweis einer tiefen rechtsradikalen Gesinnung bei Frau Zschäpe. Und zwar schon in den Jahren vor dem Gang in den Untergrund. Deshalb sehen wir eine gradlinige Beziehung zwischen der Zeit des Abtauchens 1998 sowie dem Anzünden des Hauses und dem Verschicken der DVDs des NSU im November 2011.  Die Bekenner-DVDs sind dann auch ein wesentliches Indiz für die mittäterschaftliche Begehung der Morde durch Frau Zschäpe. Unabhängig davon, ob Sie irgendwo am Tatort dabei war oder nicht.

Wir glauben allerdings, dass sich diese Indizienlage zu Lasten von Frau Zschäpe noch einmal verschlechtern wird, wenn zu einem späteren Zeitpunkt im Prozess die Banküberfälle behandelt werden. Frau Zschäpe wird nicht ernsthaft in den Raum stellen können, sei es sie selbst oder durch ihre Verteidiger, dass die teilweisen erheblichen Summen, mit denen Mundlos und Böhnhardt nach Hause gekommen sind – der Höchstbetrag eines Überfalles lag bei knapp 170 000 Euro - sie nicht zur Mitwisserin gemacht hat. Und angesichts ihrer Rolle bei der Verteilung der Beute auch zur Mittäterin. Insgesamt glauben wir, dass Frau Zschäpe im Endeffekt auch entsprechend der Anklage verurteilt wird.

Wir meinen auch, dass die Angeklagten Ralf Wohlleben und Carsten S. hinsichtlich der angeklagten Beihilfe­ zum Mord an neun Menschen überführt werden können. Angesichts der aus unserer Sicht bewiesenen Weitergabe einer Waffe mit Schalldämpferan Mundlos und Böhnhardt liegt es nahe, zumindest einen bedingten Vorsatz anzunehmen, dass mit dieser Waffe auch Menschen getötet werden. Ähnliches dürfte für den Angeklagten Holger G. gelten. Der Angeklagte André E. ist zwar bisher im Verfahren wenig aufgetaucht, allerdings gehen wir davon aus, dass auch hier im Endeffekt weitere noch zu erhebende Beweise ausreichen werden.

Wir halten im Großen und Ganzen die Verhandlungsführung des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl für angemessen. Nachdem ihm sehr schnell klar geworden war, dass seine ursprünglichen Terminierungen hinsichtlich der Dauer der Zeugenvernehmungen nicht durchzuhalten sind - wobei dies in den allermeisten Fällen bereits an der Befragung durch das Gericht selbst und nicht an den zusätzlichen Fragen der sonstigen Prozessbevollmächtigten liegt - , hat er sich auf diese Situation eingestellt. Wir halten auch die Vorgehensweise für sinnvoll, nach der zunächst die einzelnen Morde aufgeklärt werden, die Brandstiftung in der Zwickauer Frühlingsstraße und dann das gesamte Umfeld von Frau Zschäpe vor dem Untertauchen und während des Untertauchens in das Verfahren eingeführt wird. Damit werden wesentliche Pflöcke für die täterschaftliche Begehung der Taten auch durch Frau Zschäpe gesetzt.

Da wir beide ziemlich am Ende unserer beruflichen Tätigkeit stehen, werden wir wahrscheinlich nicht mehr sehr viel von dem, was wir im Laufe dieses Verfahrens lernen noch einsetzen können.

Es ist schwer, die Bilder der Opfer zu ertragen, wobei uns allerdings oft die Schilderung der Tatzeugen oder der Angehörigen stärker mitnehmen, als die Bilder der Obduktion. Für mich, Rechtsanwalt Reinecke, war einerseits der Tag besonders hart, an dem das Bekennervideo gezeigt wurde und gleichzeitig Nachbarn des in Nürnberg erschossenen Abdurrahim  Özüdogru erzählten, was für ein netter Mensch der Ermordete gewesen sei. Mindestens ebenso berührt war ich allerdings durch die aus  meiner Sicht völlig überflüssige Videovernehmung der greisen Zeugin Charlotte E., einer ehemaligen Nachbarin Zschäpes in Zwickau, in einem Pflegeheim in der Stadt.

Ich, Rechtsanwalt Schön, war besonders betroffen von dem Leid der Familie Yozgat über die Ermordung ihres Sohnes Halit in Kassel – vor allem im Verhältnis zu der Abgebrühtheit, mit der sich der Ex-Beamte des Verfassungsschutzes, Andreas T., mit allen Mitteln als unmittelbarer Tatzeuge aus seiner Verantwortung herauszulavieren versuchte.

Wir glauben ansonsten nicht, dass man eine grundsätzliche Diskussion darüber führen kann, ob auch in einem solchen Prozess gelacht werden kann. Es kommt nach unserer Auffassung immer darauf an, wann und worüber gelacht wird.

-Eberhard Reinecke und Reinhard Schön sind Rechtsanwälte in Köln. Sie vertreten insgesamt fünf Opfer des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße.

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