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Nebenklägerin Gamze Kubasik spricht über die ersten 100 Tage des NSU-Prozesses. Durch den Terror der Neonazis verlor sie ihren Vater.

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100 Tage NSU-Prozess: Nebenklägerin Gamze Kubasik: "Da sitzen diese fünf Angeklagten und es geht ihnen gut"

Nebenklägerin Gamze Kubasik verlor ihren Vater durch den NSU-Terror. Sie beklagt in ihrem Zwischenfazit zum NSU-Prozess eine mangelhafte Informationspolitik der Bundesanwälte.

Von Frank Jansen

Wie fühlen Sie sich nach bald 100 Tagen NSU-Prozess?
Ich habe von Anfang an vermutet, dass es lange dauern wird. Eigentlich habe ich seit dem ersten Tag den gleichen Eindruck: Da sitzen diese fünf Angeklagten und es geht ihnen gut. Sie wirken auf mich emotional total unbeeindruckt, mit Ausnahme vielleicht von Carsten S.

Welcher Verhandlungstag war für Sie der härteste?
Als es um den Mord an meinem Vater ging, wurden im Saal Bilder vom Tatort gezeigt. Es ging darum, wie mein Vater dort gefunden wurde. Weil ich das nicht aushalte, habe ich vor dem Saal gewartet und mir vorgestellt, was drinnen gerade passiert. Diese Minuten waren für mich die härtesten während der ganzen bisherigen Verhandlung. Darüber denke ich heute noch nach. Aber auch der Tag, an dem ich selbst ausgesagt habe, war sehr schwierig für mich.

Im Prozess wird ab und zu auch gelacht. Stört Sie das oder lachen Sie mit?
Solange über dumme Bemerkungen von Anwälten gelacht wird, ist das okay.

Hat die Hauptverhandlung Ihr Leben und das Ihrer Angehörigen verändert?
Es ist nichts besser geworden, seit der Prozess begonnen hat. Für mich ist es anstrengend und belastend. Mich sprechen viele Leute darauf an. Ich beschäftige mich jeden Tag damit. Das Schlimmste für mich ist, dass es immer mehr Fragen, aber immer weniger Antworten gibt.

Was hat die Beweisaufnahme bislang gebracht? Wo steht der Prozess?
Es wurden viele Zeugen geladen. Darunter auch einige auf die Anträge unserer Anwälte hin. Viele Zeugen hatten mit dem Verfassungsschutz zu tun. Ich weiß jetzt definitiv besser als am Anfang, dass noch mehr gelogen und verheimlicht wird, als ich dachte. Mich ärgert dabei ganz besonders, dass die Bundesanwälte kein Interesse haben, das zu ändern oder uns bei der Suche nach der Wahrheit zu unterstützen. Da werden Akten zurückgehalten oder unseren Anwälten Informationen nicht gegeben. Wir sollen darauf vertrauen, dass der Staat jetzt alles ermittelt hat, ohne dass wir oder unsere Anwälte es selbst überprüfen können. Das kann doch nach all dem, was seit 2006 gegen uns und die anderen Familien gelaufen ist, nicht deren Ernst sein!

Haben Sie den Eindruck, der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ist der Dimension des Verfahrens gewachsen?
Ich bin eigentlich ganz zufrieden mit dem Vorsitzenden Götzl. Aber manchmal denke ich, dass er bei offensichtlich lügenden Zeugen härter durchgreifen müsste. Dass er zeigen müsste, dass man dem Gericht und auch allen anderen Menschen im Saal nicht einfach ins Gesicht lügen kann. Was mir auch auffällt, ist der dauernde Blickkontakt zwischen Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer und dem Vorsitzenden Richter Götzl. Oder auch die Gespräche zwischen beiden, die kein anderer versteht. Ich finde, das ist zu wenig Abstand.

Halten Sie es beim jetzigen Stand der Hauptverhandlung für wahrscheinlich, dass Beate Zschäpe und die vier Mitangeklagten verurteilt werden?
Natürlich müssen die Angeklagten verurteilt werden. Wenn das nicht passiert, wäre das nicht gerecht. Mit den Fünf kann aber lange nicht Schluss sein. Es gab viele weitere Beteiligte, die ermittelt und verurteilt werden sollten. Wenn das nicht passiert - und ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben - dann sollte sich dieses Land wirklich schämen.

Haben Sie noch Kraft für weitere 100 Tage?
Was ist das für eine Frage? Natürlich. Mir kommt es darauf an, dass die Wahrheit aufgedeckt wird und diejenigen verurteilt werden, die für den Mord an meinem Vater verantwortlich sind. Das geht weit über den Prozess hinaus. Da gibt es für mich keine Kompromisse, auch wenn es lange dauert und anstrengend ist.

Gamze Kubasik ist die Tochter des am 4. April 2006 in Dortmund erschossenen Kioskbetreibers Mehmet Kubasik. Die Fragen stellte Frank Jansen. In der gedruckten Sonntagausgabe des Tagesspiegels, in unserem E-Paper sowie auf unserer Themenseite lesen Sie viele weitere Interviews mit Prozessbeteiligten.

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