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Warten auf die Evakuation. Szene aus dem ostukrainischen Sloviansk im Donbass am 2. Juni 2022.

© AFP

100 Tage Ukraine-Krieg: Wenn Waffen sprechen

Das Ringen um eine Lösung geht weiter. Hilft vielleicht ein Vorschlag von Henry Kissinger? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

So lange schon: 100 Tage währt der Krieg in der Ukraine, der Kampf um die Ukraine, was einerseits erschreckend, andererseits staunenswert und darüber hinaus in jedem Fall berührend ist. Dieser Widerstand! Deutschland, Europa, die Welt diskutiert den Fortgang und redet sich die Köpfe heiß, was denn nun zu geschehen habe, um dem russischen Treiben ein Ende zu machen.

Immer mehr Waffen werden an die Ukraine geliefert, wo bleibt da Raum für einen Waffenstillstand? Diese Frage mutet an wie eine aus der Vorzeit, in der Pazifismus noch als politische Option gesehen wurde, vor allem unter Grünen. Gerade bei denen regiert aber inzwischen das, was sich unter dem Begriff des „Menschenrechtsbellizismus“ zusammenfassen lässt.

Herausragender Vertreter dieser Richtung ist der vormalige Fraktionschef und heutige Europaausschussvorsitzende Anton Hofreiter. Für ihn ist die „Unterstützung der Opfer gegen den Aggressor, der Kolonisierten gegen die Imperialisten“ die wahrhaft zeitgemäße linke Politik. So erklären sich auch die immer wieder drängenden Forderungen zumal der grünen Außenministerin Annalena Baerbock nach weiteren und schweren Waffen für die Ukraine. Ein Drängen, dem der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz nun Stück um Stück nachgibt – mit einiger Zeitverzögerung.

Beispiel: das Luftabwehr-Raketensystem Iris-T. Dessen Boden-Luft-Variante, die die Ukraine erhalten soll, wird allerdings von der Bundeswehr nicht genutzt, die dementsprechend auch keine Ausbilder stellen kann. Also müssen erst beim Hersteller Geräte besorgt werden, und sei es bei dessen Vertragspartnern. Dann muss der Umgang mit dem System trainiert werden, was zusammen auch wieder Wochen dauern wird. Hofreiter zum Beispiel sieht das mit so viel Sorge wie Ärger.

Jede Stunde zählt

Denn gerade jetzt geht es um viel. Die Kämpfe im Donbass nehmen an Härte zu, mit einer Konzentration von Luftangriffen. Russlands Streitkräfte zeigen sich zahlenmäßig und waffentechnisch deutlich überlegen. Noch halten die ukrainischen Truppen stand, mit der Betonung auf „noch“. Äußerst dringend also müsste die Verteidigungskraft gestärkt werden. Jede Stunde zählt. Aber wenn der Zulauf an Waffen doch dauert?

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Da geraten die vom 99-jährigen „Jahrhundertstrategen“ Henry Kissinger vorgeschlagenen territorialen Zugeständnisse Kiews wieder in den Blick. Kissinger hatte in Davos eine Rückkehr zum „Status quo“ vor der russischen Invasion angeregt, um den Krieg zu beenden. Mit der 2014 von Russland annektierten Krim und den von pro-russischen Separatisten kontrollierten Gebieten in Donezk und Luhansk.

Nicht wenige Experten denken nun, die Art und Weise der Waffenlieferungen auch aus Deutschland verrieten, dass sich der Westen dem Kissinger-Plan angenähert hat. Weil er den Realitäten des Krieges in der Ukraine und zugleich der Linie entspricht, dass Russland nicht gewinnen darf.

Die kommenden Tage werden auch in dieser Hinsicht spannungsgeladen.

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