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Chinas Präsident Xi Jinping inspiziert in Hongkong Soldaten der Volksbefreiungsarmee.

© dpa

20 Jahre Rückgabe Hongkongs: Nur eine weitere chinesische Stadt

Vor 20 Jahren übergab Großbritannien die Kronkolonie Hongkong. Heute bestimmt Peking fast alle wichtigen politischen Aspekte in der Metropole.

In Hongkong sind vor einigen Tagen die Barrikaden hochgegangen. Die Polizei hat mannshohe blaue und weiße Absperrungen an wichtigen Verkehrsadern aufgestellt, um die Sicherheit eines seltenen Besuchers in der Metropole am Perlflussdelta zu garantieren: Xi Jinping besucht vier Jahre nach seinem Amtsantritt als Chinas Staatschef erstmals die Stadt. Am Freitag nahm der Präsident eine große Militärparade ab, am Samstag wird Xi den Feierlichkeiten zum 20.Jahrestag der Rückgabe Hongkongs an China beiwohnen. Doch bei vielen Bewohnern Hongkongs löste die Visite nicht nur Freude aus. Bereits am Mittwoch hatten 26 Aktivisten für Demokratie und die Ausreise des schwer erkrankten Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo aus China demonstriert – und waren vorübergehend festgenommen worden.

Die Stimmung zwischen der Bevölkerung Hongkongs und dem Festland ist angespannt. 20 Jahre nachdem der Union Jack über der ehemaligen Kronkolonie eingeholt wurde, stören sich zahlreiche Hongkonger daran, wie unverblümt die Kommunistische Partei (KP) Chinas mittlerweile in der Stadt auftritt. Schließlich war Hongkong im Zuge der Rückgabe an die Volksrepublik für 50 Jahre weitreichende Autonomie zugesichert worden. „Ein Land, zwei Systeme“, nannte Ex-KP-Chef Deng Xiaoping das Nebeneinander des liberalen Hong Kong und der kommunistischen Volksrepublik. Und auch Xi Jinping betonte nach seiner Ankunft, China halte an dem Prinzip weiterhin fest. Doch die Zweifel daran wachsen.

Regierung Chinas nimmt großen Einfluss auf die Politik der Stadt

Die Regierung Chinas nimmt über Pekings Verbindungsbüro in Hongkong immer größeren Einfluss auf die Politik in der 7,3-Millionen-Einwohner-Stadt. Denn das Basic Law, das Grundgesetz der Sonderverwaltungszone, gesteht der Regierung in Peking weitreichende Kompetenzen zu. Der Regierungschef von Hongkong wird von einem Gremium bestimmt, das von KP-Vertretern dominiert wird. Das Stadtparlament wird nur etwa zur Hälfte von den Bürgern der Stadt gewählt. Den Rest der Sitze füllen etwa Berufsstandsvereinigungen, auf die Peking leicht Druck ausüben kann – und sich so Einfluss sichert. Trotz dieser Möglichkeiten hielt die Zentralregierung sich jedoch lange damit zurück, offensiv in Hong- kong einzugreifen. Doch diese Zeiten sind vorbei.

„Die KP nutzt ihre Macht mittlerweile offensichtlicher“, sagt John P. Burns, Dekan der Sozialwissenschaftlichen Fakultät an der Hongkong University (HKU). In den ersten Jahren nach der Rückgabe der Kolonie habe Peking die Geschäfte in der Stadt erst einmal weitgehend laufen lassen. Doch nachdem im Jahr 2003 Massenproteste der Stadtbevölkerung eine geplante Verschärfung der Sicherheitsgesetze zu Fall brachten, überdachte die Zentralregierung diesen Ansatz, sagt Burns. Seitdem geht in den entscheidenden Fragen fast nichts mehr gegen den Willen Pekings.

Zwar gibt es in Hongkong im Gegensatz zum Festland weiterhin Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Doch die Bürger müssen um die Umsetzung ihrer Rechte kämpfen. Eine Zeitung wie die englischsprachige „South China Morning Post“ ist inzwischen in den Besitz des Festlandchinesen Jack Ma von Alibaba übergangen – und fällt nun mit vermehrt pekingfreundlicher Berichterstattung auf.

Eine weitergehende Wahlrechtsreform kommt für Peking nicht in Frage

Und auch die Aussicht auf mehr Demokratie, wie es das Abkommen über die Rückgabe Hongkongs an China vorsieht, ist in weite Ferne gerückt. Damals war vereinbart worden, dass die Stadtbevölkerung ihren Regierungschef nach einer Übergangszeit in freien Wahlen selbst bestimmen dürfe. Als denkbares Zieldatum wurde das Jahr 2017 genannt. Doch als die Entscheidung über ein neues Wahlgesetz näher rückte, stellte sich Peking quer. Zwar sollten künftig alle Einwohner von Hongkong abstimmen dürfen, aber nur über Kandidaten, die Peking im Vorfeld genehmigt hatte. Einen Regierungschef Hongkongs, der sich womöglich gegen die Politik der Festland-Regierung stellt, will man in der Volksrepublik mit Blick auf den eigenen Machterhalt keinesfalls akzeptieren. Im Jahr 2014 eskalierte der Streit. Hunderttausende Demokratie-Aktivisten besetzten im Zuge der „Occupy Central“-Bewegung mehrere Plätze. Doch die Regierung gab dem Druck nicht nach. 79 Tage später räumten die letzten Demonstranten ihre Camps. Der Kampf für mehr Demokratie war vorerst gescheitert.

Seitdem machte Peking wiederholt klar, dass eine weitergehende Wahlrechtsreform außer Frage steht. Auch Carrie Lam, die am 1.Juli als neue Chefin der Sonderverwaltungszone vereidigt wird, sieht das Thema als erledigt an. „Wenn es zwischen den zwei Systemen einen Konflikt gibt, behält ein System eben immer die Oberhand“, sagt Politikwissenschaftler Burns.

Junge Menschen fürchten zunehmende Kontrolle der Zentralregierung

Peking wird auch in Zukunft alles dafür tun, dass es bei diesem Kräfteverhältnis bleibt. Man habe die „vollständige Jurisdiktion“ über Hongkong, heißt es in einem Papier der Zentralregierung aus dem Jahr 2014. Das heißt: Das Festland – und damit die KP – behält sich vor, in alle Lebensbereiche Hongkongs hineinzuregieren. Was das bedeuten kann, bekam die Stadt bereits zu spüren. So verschwanden Ende 2015 fünf Buchhändler aus Hongkong, die KP-kritische Schriften vertrieben hatten. Sie tauchten später im Gewahrsam der Behörden der Volksrepublik wieder auf. Die Entführungen verletzten die Kompetenzen der Hongkonger Sicherheitsbehörden. Die Stadtregierung reagierte dennoch höchst zurückhaltend – trotz Protesten der Bevölkerung.

Angesichts dieser immer sichtbareren Machtdemonstrationen der Zentralregierung gewinnt mittlerweile eine Idee an Zulauf, die bisher als undenkbar galt: die Unabhängigkeit Hongkongs. Gerade junge Menschen fürchten, dass Chinas Griff um die ehemalige Kronkolonie immer fester wird – bis die Metropole schließlich nur noch eine weitere chinesische Großstadt ist. Burns glaubt nicht, dass solche Überlegungen zu etwas führen werden. Eine Unabhängigkeit werde die Volksrepublik niemals zulassen. Auch eine weitere Demokratisierung sieht er in absehbarer Zukunft nicht. „Die Zentralregierung wird es Hongkong nicht erlauben, ein politisches System zu entwickeln, das dem Machtanspruch der KP gefährlich wird“, erklärt er. Mit Blick auf 2047 – wenn die Zeit des „ein Land, zwei Systeme“ endet – verspricht das nichts Gutes. „Hongkong wird dann dem Festland wohl ähnlicher sein, als das Festland Hongkong“, sagt Burns.

Julian Heissler

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