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Es gibt viele Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Diese Syrer im Libanon sind vor dem Krieg in ihrer Heimat geflüchtet. Auch im syrischen Bürgerkrieg spielt der Wassermangel im Land eine Rolle. Doch handfeste durch den Klimawandel verschärfte Ressourcenkonflikte gibt es auch heute schon. Es werden mehr Klimaflüchtlinge werden, darüber sind sich die meisten Experten einig.

© AFP

20. UN-Klimagipfel in Lima: „Klimaflucht findet bereits heute statt“

Der Schweizer Völkerrechtler Walter Kälin sagt: Temporäre Arbeitsmigration könnte ein Modell sein, um Probleme zu bewältigen – erst wenn die versagt, kommt es zu dauerhafter Vertreibung.

Der Klimawandel wird Millionen Menschen in die Flucht treiben. Haben Sie eine genauere Vorstellung davon, wie viele das sein werden?

Allein zwischen 2008 und 2013 mussten mehr als 160 Millionen Menschen ihre Häuser, Dörfer und Städte wegen Naturkatastrophen verlassen. Nicht immer, aber sehr oft war der Grund klimabedingt. Dazu kommt eine unbekannte Größe an Menschen, die sich wegen weniger plötzlichen Klimaphänomenen auf den Weg gemacht haben wie steigende Meeresspiegel und Dürreperioden. Auch wenn wir die Zahl der Klimavertriebenen nicht genau kennen, wissen wir: Es geht um große Zahlen. Und sie werden wachsen.

Das heißt, Klimaflucht ist bereits Realität?
Wir schätzen, dass im Schnitt 27,5 Millionen Menschen pro Jahr vor Naturkatastrophen fliehen, davon zwischen 80 und 90 Prozent klimabedingt. Nach meinem Empfinden ist das eine sehr prägnante Gegenwart, die nicht genug registriert wird.

Ab wann müssen wir mit noch größeren Wanderungsbewegungen rechnen?
Das lässt sich nicht genau prognostizieren, weil es ganz entscheidend vom weiteren CO2-Ausstoß abhängt. Deshalb ist die Klima-Konferenz im kommenden Jahr in Paris so wichtig, denn nur ein starker Vertrag mit klaren Minderungspflichten kann den Temperaturanstieg auf zwei Grad begrenzen. Wenn das gelingt, sehen die Flucht-Szenarien sehr viel günstiger aus. Wenn allerdings nichts oder nur wenig geschieht, wären viele große Städte nahe der Küste existenziell bedroht, in Asien, Afrika, selbst in Deutschland. Auch Hamburg und Bremerhaven müssten sich dann schützen. Und wo Schutz nicht möglich oder finanzierbar ist, wären sehr viele Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.

Sind bestimmte Weltgegenden stärker betroffen?
Es trifft leider vor allem ärmere Regionen, die sich viel schlechter gegen die Folgen des Klimawandels wappnen können, Migration inbegriffen. Das sind die tief liegenden kleinen Inselstaaten, davon besonders Korallenatolle. Dort sehen wir bereits heute, wie Küstenlinien erodieren, Böden versalzen und das Grundwasser kontaminiert wird. Ebenfalls stark betroffen sein werden Länder wie Bangladesch, Birma, das Mekong- und das Nildelta oder Mittelamerika und die Philippinen.

Neben Überschwemmungen nehmen Dürren zu.
Richtig. Das trifft dann vor allem Afrika, genauer das Horn von Afrika, und die Sahelzone, aber auch Nordafrika. Hier hängt viel davon ab, wie viel man in Anpassungsmaßnahmen investiert. Teilweise ist Grundwasser vorhanden, das man erschließen könnte, teilweise lässt sich einiges mit Pflanzenwechsel erreichen, indem man auf Pflanzen ausweicht, die Dürren eher ertragen.

"Das wird noch zu wenig wahrgenommen"

Kann es sein, dass das Phänomen Klimaflucht entweder über- oder unterschätzt, aber selten angemessen betrachtet wird?
Einige Regionen in Asien und Afrika müssen spätestens Mitte des Jahrhunderts mit großen Bevölkerungsbewegungen zurechtkommen. Das wird in der Tat noch zu wenig wahrgenommen. Je früher wir uns damit auseinandersetzen, desto weniger dramatisch werden die Folgen sein. Umgekehrt halte ich es aus heutiger Sicht für wenig wahrscheinlich, dass in Europa eines Tages hunderte Millionen Klimaflüchtlinge anklopfen. Hier wird ein übertriebenes Angstszenario entworfen. Tatsächlich flüchten die meisten Menschen im eigenen Land oder in ihrer Region. Sie bleiben, anders als bei Kriegen, wenn sich Menschen gerne weit vom Ort des Grauens entfernen wollen, am liebsten möglichst nah an ihrer Heimat. Wenn sie dort allerdings keine Überlebensperspektive für sich sehen, wandern sie weiter.

Das heißt, wir sehen für uns größere Gefahren als nötig und übersehen die Probleme dort, wo sie wirklich auftreten?
Genau das ist das Dilemma, aus dem wir herauskommen müssen.

Der Schweizer Völkerrechtler Walter Kälin hat in der Vergangenheit die Vereinten Nationen im Umgang mit Intern Vertriebenen beraten. Nun setzt er sich für Klimaflüchtlinge ein.
Der Schweizer Völkerrechtler Walter Kälin hat in der Vergangenheit die Vereinten Nationen im Umgang mit Intern Vertriebenen beraten. Nun setzt er sich für Klimaflüchtlinge ein.

© UNHCR

Wie könnten wir den betroffenen Ländern helfen?
Diese Länder brauchen verschiedene Instrumente, die sich ergänzen und zusammen wirkungsvollen Schutz bieten. Dazu gehört zunächst die Katastrophenvorsorge, etwa in Form von Dämmen, Kanälen, veränderter Infrastruktur, aber auch der rechtzeitigen Umsiedlung bedrohter Orte. Dazu zählen zudem Anpassungsmaßnahmen, wie dürreresistente Pflanzen oder veränderte Bewässerungsmethoden. Schließlich muss man temporäre Arbeitsmigration oder permanente Auswanderung erleichtern. So dürfen Menschen etwa aus den kleinen Inselstaaten vorübergehend in Australien oder Neuseeland arbeiten. Das Geld, das sie verdienen, sichert das Überleben ihrer Familien im eigenen Land auch bei geringerer Fruchtbarkeit der Böden oder geringerem Fischbestand. Das ist ein gutes Modell. Es kann aber auch bedeuten, Menschen während einer Dürre zu gestatten, übergangsweise in ein Nachbarland auszuweichen. Erst wenn diese Mechanismen versagen, kommt es zu dauerhafter Flucht und Vertreibung.

Das alles kostet Geld. Wie viel?
Viel Geld, aber wie viel wissen wir nicht genau. Wir wissen nur, dass der Globale Klimafonds der Vereinten Nationen eine wichtige Quelle ist, um solche Härte vorbeugend abzufedern. Leider ist der noch nicht ausreichend gefüllt – da muss mehr geschehen.

"Den Aufnahmestaaten willkürlich ausgeliefert"

Bisher bewegen sich Klimaflüchtlinge in einer rechtlichen Grauzone. Ihr Status ist von der Genfer Flüchtlingskonvention nicht gedeckt. Diese erkennt Kriterien wie politische oder religiöse Verfolgung als Fluchtgrund an, der Klimawandel zählt nicht dazu. Was bedeutet das für die Betroffenen?
Da es noch keine legale Form der Wanderung für diese Menschen gibt, leiden sie unter einem hohen Maß an Unsicherheit. Auch wenn Nachbarstaaten sich immer wieder großzügig zeigen, wie zum Beispiel während der Dürre 2010 und 2011 in Somalia, sind diese Menschen den Aufnahmestaaten letztlich willkürlich ausgeliefert. Das ist angesichts der Tragweite des Problems ein unhaltbarer Zustand. Hier brauchen wir Lösungen.

Was müsste international geschehen, um ihren Status abzusichern und vielleicht auch Flüchtlingsströme zu kanalisieren?
Als Erstes muss das Problem als solches anerkannt werden. Dann benötigen wir Instrumente, um Flucht zu vermeiden oder zu reduzieren. Und schließlich brauchen wir regionale Vereinbarungen für die besonders betroffenen Weltgegenden. Das muss nicht unbedingt hartes Recht sein, einige Prinzipien zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wären als Anfang schon sehr hilfreich.

Braucht es am Ende nicht auch eine internationale Konvention mit klaren Regeln dazu?
Dafür ist die Zeit meines Erachtens noch nicht reif. Beim Klimagipfel in Cancún haben die Staaten zwar anerkannt, dass Migration und Flucht zu den Herausforderungen des Klimawandels zählen, aber weitergehende Beschlüsse gibt es nicht. Wir sehen, dass sich Staaten ganz allmählich mit dem Problem beschäftigen, dazu gehört auch Deutschland. Von einer internationalen Regelung sind wir allerdings noch weit entfernt. Das wird ein komplexer und politisch langwieriger Prozess. Vielleicht brauchen wir am Ende auch eher regionale Konventionen, um den jeweiligen Umständen besser gerecht zu werden. Was für die kleinen Inselstaaten gilt, hilft bei Dürren in Afrika nicht unbedingt weiter. Das muss sich zeigen.

Müssten solche Übereinkünfte auch Quoten zur Aufnahme von Klimaflüchtlingen enthalten?
Ich sehe nicht, dass sich die Staaten in absehbarer Zeit auf Quoten einigen können.

Der „Druck der Ströme“ muss also noch zunehmen, ehe hier wirklich etwas geschieht?
Wichtiger noch wäre, den Druck auf die Regierungen zu erhöhen, sowohl der betroffenen Staaten als auch der Geberländer, damit sie jetzt aktiv werden, um später Schlimmeres zu verhindern. Denn Klimaflucht ist ein Phänomen, dem wir nicht einfach ausgeliefert sind. Wir können viel dagegen unternehmen.

Friederike Bauer

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