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Politik: 48 Stunden zum Reden

Juschtschenko setzt ein Ultimatum für Gespräche. Sie sind aus Sicht seiner Anhänger nicht ohne Risiko

Auch die von der Opposition verteilten Apfelsinen vermochten Parlamentspräsident Wolodimir Litwin nicht fröhlich zu stimmen. Durch die kontroverse Präsidentenwahl vom vergangenen Wochenende sei die Ukraine erneut „erniedrigt“ worden, sagte er – und schlug den Abgeordneten die Wiederholung des verfälschten Urnengangs vor: Mit großer Mehrheit nahm das Parlament die von ihm vorgeschlagene Erklärung zur Annullierung der Skandalwahl an. Ungewöhnlich offen kritisierte Litwin seinen einstigen Schutzherrn, Staatschef Leonid Kutschma: „Die Situation, die wir jetzt haben, ist das Resultat der Politik der letzten Jahre.“

Seit die Wahlkommission nach der manipulierten Stichwahl zwischen Oppositionsführer Viktor Juschtschenko und Premier Viktor Janukowitsch den Regierungschef zum Wahlsieger erklärte hatte, wird das Land von einer Welle von Protestdemonstrationen erfasst. Die Politiker in Kiew suchen derweil einen Ausweg aus der Krise. Beide Seiten waren am Freitag erstmals am Verhandlungstisch zusammengekommen. Am Ende hätten sich die beiden Kontrahenten angelächelt, vermeldete der EU-Sonderbeauftragte Javier Solana. Wenn die vereinbarten Verhandlungen in zwei Tagen keine konkrete Ergebnisse liefern würden, werde die Opposition wieder zu „aktiven Maßnahmen“ zurückkehren, stellte Juschtschenko klar. Entscheidend sei, ob die Opposition auch in den kommenden Tagen den Druck der Straße weiter aufrecht halten könnte, kommentierte am Samstag ein westlicher Diplomat die Erfolgsaussichten der Vermittlungsbemühungen: „Solange Janukowitsch weiter das Gefühl hat, dass es einen Ausweg zur Rettung seines Wahlergebnisses gibt, bewegt er sich nicht: Er sitzt noch auf einem viel zu hohen Ross.“

Doch in Kiew gibt es auch Kritik an den Verhandlungen: Mit der Einladung des bereits diskreditierten Regierungschefs an den Verhandlungstisch hätten sie ihn wieder ins Spiel gebracht, ärgerten sich heimische Diplomaten. Nun sei die „alte Macht“ wieder da, sagten potenzielle Überläufer in den Behörden und zögerten vor einem Frontenwechsel: „Dabei waren Kutschma und Janukowitsch schon weich gekocht. Noch zwei, drei Demonstrationstage – und sie wären eingeknickt.“

Wieder zogen am Samstag Zehntausende mit den orangefarbenen Oppositionsflaggen in die Kiewer Innenstadt. Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sprach zu den Demonstranten und ermunterte sie in ihrem Kampf. Doch die Stimmung schien zunächst längst nicht mehr so enthusiastisch wie in den Tagen zuvor. Erst nach der Abstimmung im Parlament schallten erneut Juschtschenko-Rufe über den Unabhängigkeitsplatz. Die Sorge mancher Demonstranten, dass der als „Zauderer“ geltende Juschtschenko sich wieder einmal auf einen Kompromiss mit den Machthabern einlassen könnte, war am Freitag durch die auffällige Abwesenheit von dessen radikalen Sprachrohr Julia Timoschenko verstärkt worden. Sie habe Geburtstag und sei darum nicht zu erreichen, mühte sich am Samstag ein Sprecher des Juschtschenko-Wahlstabs Spekulationen über einen Richtungsstreit in den Oppositionsreihen zu zerstreuen.

Thomas Roser[Kiew]

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