zum Hauptinhalt

Politik: 51. Sudetendeutscher Tag in Nürnberg: Erika Steinbach im Interview: Wofür die Vertriebenen-Präsidentin Rot-Grün lobt

Erika Steinbach (46) ist seit 1998 Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV) - als erste Frau und als erste an der BdV-Spitze, die keine bewusste Erinnerung an die alte Heimat hat. Die CDU-Bundestagsabgeordnete aus Frankfurt am Main war als Kleinkind mit ihrer Familie aus dem heute polnischen Westpreußen vertrieben worden.

Erika Steinbach (46) ist seit 1998 Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV) - als erste Frau und als erste an der BdV-Spitze, die keine bewusste Erinnerung an die alte Heimat hat. Die CDU-Bundestagsabgeordnete aus Frankfurt am Main war als Kleinkind mit ihrer Familie aus dem heute polnischen Westpreußen vertrieben worden. Sie wird dem konservativen CDU-Flügel zugerechnet, stimmte nach der Einheit gegen den Grenzvertrag mit Polen und gegen die deutsch-tschechische Aussöhnungserklärung.

Wieder naht Pfingsten, das liebliche Fest - aber auch das Datum für die großen Vertriebenenkundgebungen. Ist diesmal mit einem Pfingstwunder zu rechnen: versöhnliche Töne statt Aufrechnung des Leidens und Entschädigungsforderungen?

Es tagen einzelne Landsmannschaften, die der Sudetendeutschen in Nürnberg, die der Ostpreußen in Leipzig und viele weitere, die jede ihre eigene Problematik und Wünsche artikulieren. Im Bund der Vertriebenen, der Vereinigung aller Landsmannschaften, sind wir uns einig geworden, dass wir die Osterweiterung der EU ausdrücklich befürworten und zu Beginn des neuen Jahrtausends offen sein wollen für ein gutes Miteinander mit den Nachbarn. Viele Vertriebene reisen in ihre frühere Heimat, bringen Geld mit, um Kirchen aufzubauen, Krankenhäuser auszustatten und anderen zu helfen. Die Pfingsttreffen haben allerdings oft Ähnlichkeit mit Gewerkschaftsveranstaltungen: Im Vordergrund stehen die Defizite, die noch angeprangert werden.

Die EU verhandelt mit Polen und Tschechien über den Beitritt. Der BdV fordert, erst müssten die Restitutions- oder Entschädigungsansprüche für das enteignete Privatvermögen deutscher Vertriebener geklärt werden. Warum soll das eine Vorbedingung sein?

Nach den Kopenhagener Kriterien müssen Beitrittskandidaten die Menschenrechte achten und umgesetzt haben. Vertreibung ist eine Menschenrechtsverletzung.

In den Berichten über die Beitrittsfähigkeit hat die EU-Kommission weder bei Polen noch Tschechien aktuelle Menschenrechtsverletzungen festgestellt. Wollen Sie die heute Lebenden für vergangenes Unrecht bestrafen?

Manche Länder haben die Menschenrechtsverletzung der Vertreibung der Deutschen nicht aufgearbeitet. Ungarn und Estland haben das Ihre beigetragen. Bei Tschechien, Polen und Slowenien gibt es noch offene Fragen. Menschenrechte und Aufarbeitung müssen ebenso erfüllt werden wie die Bedingungen bei Agrardaten.

Wird nicht umgekehrt ein Schuh daraus? Materiell geht es um Gleichbehandlung früherer Eigentümer, egal ob sie heute Bürger Polens, Tschechiens oder deutsche Vertriebene sind. Warschau und Prag müssen damit rechnen, dass ihre Restitutions- oder Entschädigungsregelungen nach dem EU-Beitritt von europäischen Gerichten auf Gleichbehandlung hin überprüft werden. Unterschiede müssen sie juristisch begründen - wie in Deutschland die Enteignungen zwischen 1945 und 1949, die nicht rückgängig gemacht wurden.

Das ist ein großes Risiko für unsere Nachbarn. Wenn ich ein polnischer oder tschechischer Politiker wäre, würde ich alles daran setzen, das vor dem Beitritt zu klären. Und man kann nicht doppeltes Maß anlegen: Zu Tschechien hat man über die verletzten Rechte der Sinti und Roma seitens der EU hinter verschlossenen Türen verhandelt, aber die verletzten Rechte der Deutschen, auch die der heute dort lebenden Minderheit, gar nicht angesprochen.

Ist Rückübertragung überhaupt realistisch? Das hieße doch, dass die Immobilien in einem Drittel des polnischen Staatsgebietes und fast alle in den Sudetengebieten in deutsche Hände kommen.

Wir haben immer gesagt: eine erträgliche Entschädigungsregelung. Ich benutze lieber die Vokabel: Heilung. Da ist etwas, was noch nicht in Ordnung gebracht ist, das muss geheilt werden. Ungarn hat mit seiner Entschädigungsregelung, die symbolischen Charakter hat, gezeigt: Es gibt Wege, die einen Staat, der nach vierzig Jahren Kommunismus arm ist, nicht überfordern. Es ist nicht mein Anliegen, dazu beizutragen, dass Polen oder Tschechien ausgebeutet wird und existenzunfähig wird. Es geht um die verletzten Seelen der vertriebenen Menschen und Gesten der Versöhnung.

Haben die Vertriebenen überhört, dass Präsidenten und Regierungsmitglieder Polens und Tschechiens das Unrecht der Vertreibung mehrfach anerkannt und um Entschuldigung gebeten haben?

Das wird wahrgenommen. Ich habe mich in meiner letzten Rede ausdrücklich öffentlich bei Vaclav Havel bedankt.

Was fehlt denn dann noch?

Für Opfer ist es unerträglich, wenn es in der Tschechischen Republik Amnestiegesetze gibt, die ausdrücklich Menschen straffrei stellen, die Deutsche erschlagen, gefoltert und gequält haben und bis heute frei herumlaufen. Die Benes-Dekrete müssen vom Parlament annulliert werden. Das ist eine Art Rassegesetzgebung, die sich nicht mit Europas Werten vereinbaren lässt. Bei der Entschädigung gibt es eine große Bandbreite von Möglichkeiten - auch solche, bei denen Geld nicht die Hauptrolle spielt, sondern der emotionale Teil: das Bedürfnis, liebevoll in den Arm genommen zu werden.

Das können Regierungen schlecht machen . .

Das stimmt. Aber durch symbolische Gesten ist vieles möglich.

Ist Versöhnung möglich, wenn sich jede der Seiten als hauptsächliches Opfer sieht?

Da haben Sie Recht. Beide Seiten hatten Opfer zu beklagen. Und es ist auch klar, dass es ein ganz unterschiedliches Maß von Unrecht und Leiden war. Aber der einzelne Mensch ist Opfer. Die Täter muss man bestrafen. In Rumänien gehen die Vertreter der Landsmannschaften bei der Regierung ein und aus und werden bei offiziellen Anlässen als Gäste eingeladen.

Die Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben haben sich schon seit den 60er Jahren um Ausgleich bemüht, als andere Landsmannschaften sehr markig auftraten.

Da gab es auch eine andere Vorgeschichte.

Sind die Vertriebenenverbände nicht deshalb ins politische Abseits geraten? Wie wollen Sie sie wieder aus der Randrolle herausführen?

Die Außenseiterrolle der Vertriebenen hat sich über mehrere Jahrzehnte entwickelt, aus verschiedenen Gründen. Ursprünglich stand die gesamte Parteienlandschaft hinter den Vertriebenen, auch die SPD forderte bis in die 60er Jahre, die Millionen Vertriebenen müssten in ihre Heimat zurückkehren können. Erst mit der neuen Ostpolitik begann die Verhärtung zwischen der Linken und den Vertriebenen, das hat sich gegenseitig hochgeschaukelt. Ich möchte Gespräche mit allen Parteien wieder möglich machen.

Mit dem SPD-Innenminister Otto Schily, der zudem früher ein Grüner war, scheint der Bund der Vertriebenen politisch und finanziell nicht schlechter zu fahren als mit seinem konservativen Vorgänger Kanther, der aus Schlesien stammt. Wird Schily demnächst Ehrenmitglied bei Ihnen?

Vielleicht erhält er irgendwann unsere höchste Auszeichnung. Das Klima hat sich deutlich entkrampft. Der Innenminister steht engagiert an der Seite des Bundes der Vertriebenen. Wir werden weiter institutionell gefördert. Und der Bundeskanzler wird am 50. Jahrestag der Charta der Heimatvertriebenen, deren Botschaft schon 1950 "Keine Rache, keine Vergeltung" war, die Festrede in Berlin halten. Darin sehe ich einen Richtungswechsel.

Gibt es den auch bei den Vertriebenen?

In der Verbandsspitze sind wir uns einig. Aber der Bund der Vertriebenen ist schwieriger strukturiert als jede Partei oder Gewerkschaft. Vor der Einladung des Kanzlers gab es schon eine Diskussion. Unterschiedliche Auffassungen muss man ertragen.

Ist es nicht Zeit, den Verband zum 50. Jubiläum aufzulösen? Die Erlebnisgeneration der Vertriebenen stirbt. Bei der Annäherung Polens und Tschechiens wird der Bund der Vertriebenen als eher kontraproduktiv wahrgenommen, die Funktion der Brückenbauer übernehmen in der Praxis andere.

80 Prozent der Besucher in Polen oder Tschechien, soweit sie nicht als Touristen in die großen Städte fahren, sind Heimatvertriebene.

Aber sie fahren doch nicht als organisierte Heimatvertriebene.

Sowohl als auch. Wir haben zweieinhalb Millionen Mitglieder, das ist ein hoher Organisationsgrad.

Wieder naht Pfingsten[das liebliche Fest - aber a]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false