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Ich und du. Die Ministerpräsidenten Armin Laschet (links) und Markus Söder im April 2019 beim Beginn der Wahlkampagne zu den Europawahlen in trauter Einigkeit.

© Tobias Schwarz / AFP

Ach, Männer!: Der Entschlossene und der Zauderer

Mit angestaubten Bildern vom „starken Mann“ wollen Markus Söder und die CSU sich die Kanzlerkandidatur sichern. Das ist nicht nur anachronistisch.

Showdown, Kampftag. Mann gegen Mann, keine Regeln. Wer zuerst zu Boden geht, hat verloren. Was seit einer knappen Woche öffentlich zwischen CDU und CSU in der Kanzlerfrage ausgetragen wird, ist nicht nur ein Kampf um die Macht in der Union und damit womöglich im Land. Es ist auch ein Kampf zwischen zwei verschiedenen Männertypen. Zwischen Vergangenheit und Gegenwart, wenn man so will.

Auf der einen Seite Armin Laschet (CDU). Ein Mann, der nicht unbedingt als Lautsprecher bekannt ist. Er zieht seine Fäden lieber in Hintergrund, gilt als Teamplayer, im Zweifel bemüht um Konsens und Mehrheiten. Ein Zauderer ohne klare Kante, könnten böse Zungen behaupten. Ein moderner konservativer Mann, könnte man auch sagen.

Auf der anderen Seite Markus Söder (CSU), der mit klarer Kante kein Problem hat. Sofern sie ihm nützt. Er ist ein geschickter Machtpolitiker, wie sein ehemaliger Chef Horst Seehofer zu berichten weiß. Er hat Durchsetzungswillen für drei Politiker, versteht sich gut darauf, sich als „starker Mann“ mit breitem Gang zu inszenieren, als potenter Platzhirsch, der die Herde vor Gefahren zu schützen vermag, wenn man so will.

Und das kommt scheinbar an im Superwahljahr 2021. Wesentlich mehr Menschen in Deutschland können sich Söder als zukünftigen Kanzler vorstellen als Laschet, zudem ist er deutlich beliebter als der Rheinländer. Und auch die Union scheint sich den Bayer zumindest heimlich zu wünschen. Die Fraktion im Bundestag würde sich bei einem Votum wohl für Söder aussprechen, die Basis hat längst klargemacht, dass sie ihn sich als Kandidaten wünscht.

Und genau daraus ziehen Söder und die CSU ihre Legitimation im Kampf um die Kanzlerkandidatur. Söder ist beliebter, Söder ist stärker, Söder ist kein Zauderer wie Laschet. Er ist, nun ja, der „starke Mann“, den wir jetzt brauchen. Man könnte auch sagen: Er ist besser, weil dominanter. Der größere, kräftigere Hirsch im Gehege, mit mehr Enden am Geweih als der andere.

Angesichts solcher Narrative muss man sich dieser Tage manchmal zwicken und daran erinnern, dass wir im Jahr 2021 leben. Dass Gleichstellung eigentlich eine politische Selbstverständlichkeit ist, auch, wenn über die Methoden gestritten wird; dass mit Joe Biden ein Mann die USA regiert, der nicht auf einen überkommenen Männlichkeitskult setzt, sondern auf eine diverse, breite Koalition hinter und neben sich.

Klischeetriefende Attribute

Dass sich weite Teil dieser Gesellschaft eigentlich längst einig sind, dass es überhaupt keine gute Idee ist, wenn mittelalte Männer klischeetriefende Attribute wie Stärke, Durchsetzungsvermögen und Dominanz einsetzen, um an ihr Ziel zu kommen. Und dass es längst einen Begriff für ein solches Verhalten gibt: toxische Männlichkeit.

Schaut man genauer hin, ist Söders aktuelles Vorgehen ein Paradebeispiel für diese problematische Form männlichen Verhaltens. Ein kurzer Blick ins Selbstwahrnehmungshandbuch „echter Männer” genügt: Männer dürfen keine Schwäche zeigen, sie müssen hart sein. Männer sind nicht überfordert oder hilflos, sie packen Probleme an. Natürlich, ohne andere um Hilfe bitten zu müssen. Männer sind grundsätzlich auf Wettbewerb und Dominanz ausgerichtet, nicht auf Kooperation. Verweichlichtes, „weibisches” Verhalten gehört sich nicht für einen richtigen Mann. Fünf Treffer, Bingo!

Entgegen seines jüngsten Anstrichs als inklusiver Modernisierer der deutschen Demokratie, bedient sich Söder dieser Stereotypen seit Monaten. In der vergangenen Woche jedoch verstärkt. Er mimt in der Corona-Pandemie den entschlossenen Entscheider. Er fordert den CDU-Chef zu einer Art direktem Duell vor der Unionsfraktion im Bundestag, wo er ihn energisch angreift. Er hält sich nicht an Absprachen.

Er akzeptiert ein klares Nein nicht, wie das Votum der obersten CDU-Gremien vom vergangen Sonntag. Er betont unaufhörlich, wie wichtig ein starker, kraftvoller Kandidat (wie er) doch sei. Und er verweist mit verlässlicher Regelmäßigkeit auf die (wegen ihm) trotz gefährlicher Grenzlage seines Bundeslands bessere Pandemielage in Bayern und die angeblich schlechtere in Laschets Nordrhein-Westfalen. Was objektiv betrachtet ziemlicher Unsinn ist, Bayern verzeichnete am Freitag eine Sieben-Tage-Inzidenz von 188,9, die vierthöchste in Deutschland. Nordrhein-Westfalen lag bei 169,2. Und Landesgrenzen gibt es dort auch. Ach, Männer!

Das alles folgt natürlich einem klaren Kalkül. Nach mehr als einem Jahr Pandemie sind die Menschen in Deutschland genervt von Hü und Hott, denkt sich Söder. Nichts läuft zusammen, Lockdown folgt auf Lockdown, Impf-, Test- und Lockerungsstrategien funktionieren bislang ungefähr so gut wie ein Auto ohne Bremse. Da wünscht sich die Bevölkerung doch einen „starken Mann”, der das alles endlich regelt. Seine historische Chance auf das Kanzleramt.

Dennoch liegt in Söders Rückgriff auf angestaubte Männlichkeitsbilder ein hohes Risiko, seine Taktik könnte im Handumdrehen zur Hypothek werden. Für ihn selbst, für die Union – und die ganze Republik.

Zum einen, weil das Bild eines starken Mannes, trotz aller momentanen Zustimmung, zumindest hierzulande längst nicht mehr so sehr zieht, wie Söder vielleicht glaubt. Die Erkenntnis, dass Männlichkeit in ihrer testosterongetränkten Form gar nicht so toll und eher ein Problem ist, hat sich bis weit in die bürgerliche Mitte durchgesetzt, also direkt im Wähler:innenreservoir der Union.

Und dort übrigens zunehmend auch bei Männern, die immer häufiger den enormen körperlichen wie psychischen Tribut erkennen, den die Erfüllung der traditionellen Rolle fordert. Und dabei nicht mehr mitmachen wollen.

Zweitens schadet Söder der Union mit seinem Verhalten auf lange Sicht. Mit seinem Durchsetzungswillen um jeden Preis mag er sich den Applaus des konservativen Flügels in CDU und CSU gesichert haben, der sich nicht zuletzt über eine Abgrenzung zum Linksruck der Ära Merkel freut. Dieser Flügel mag zwar laut und präsent sein, ist aber weit davon entfernt, die Mehrheit der Republik zu repräsentieren.

Vor allem aber ist dieser Flügel, so ehrlich muss man sein, ziemlich alt und grau. Möchte die Union, wie sie bei jeder Gelegenheit betont, auch in Zukunft so etwas wie eine Volkspartei sein, muss sie aber dringend besser bei jüngeren Wähler:innen ankommen. Und diese müssen nicht zwingend zu den politischen Blasen der Großstädte gehören, um männliche Machtpolitik ziemlich befremdlich zu finden. Mit einem röhrenden Hirsch auf dem bundespolitischen Feld können sie völlig zu recht wenig anfangen.

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So oder so hat Söder mit seinem Macho-Vorstoß allen beteiligten geschadet. Wie es toxische Männer eben gerne tun. Armin Laschet, seit gerade einmal drei Monaten CDU-Chef, ist beschädigt. Die Union, die eigentlich mit ihrer Maskenaffäre (Korruption, auch so eine Sache, die komischerweise meist mächtigen, mittelalten Männern unterläuft) alle Hände voll zu tun hat, wird es bis zur Wahl im September kaum schaffen, die von Söder losgetretene Debatte wieder einzufangen.

Und das Land? Könnte in dieser Gemengelage in eine Situation schlittern, in der die Bildung einer stabilen Regierung unmöglich ist. Und am Ende erneut von Angela Merkel zu Neujahr gegrüßt werden, weil es noch keine:n Nachfolger:in gibt. Und das mitten in einer Pandemie. Weil ein Mann mal wieder ein „echter Mann” war.

Dennis Pohl

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