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Politik: Achse des Friedens

Im Berliner Dom demonstrieren die Kirchen Freundschaft mit Amerika – aber wenden sich gegen einen Irak-Krieg

Von Hans Monath

An manchen Tagen wird die christliche Botschaft politisch. Schon die Besetzung der ersten Reihen im Berliner Dom macht am Mittwoch den ökumenischen Gedenkgottesdienst am Jahrestag des Anschlags zu einer Demonstration deutsch-amerikanischer Verbundenheit: Mit ernstem Gesicht verfolgen Bundespräsident, Bundeskanzler, viele Bundesminister und Ländervertreter die Messe. Neben US-Botschafter Dan Coats, der später eine Fürbitte sprechen wird, und vielen seiner Botschaftsmitarbeiter sind auch Angehörige von Opfern der Anschläge gekommen.

Ein feierliches, auch anrührendes Programm haben der evangelische Bischof Wolfgang Huber und der katholische Kardinal Georg Sterzinsky zusammengestellt. Zwei Schüler lesen die Bergpredigt – abwechselnd auf Deutsch und auf Amerikanisch. Und das Lied „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ scheint an diesem Tag eine besondere Bedeutung zu bekommen. Doch dann hören die vielen Politiker, ihre amerikanischen Gäste und die weiteren Gottesdienstbesucher von den beiden Geistlichen nicht nur die christliche Botschaft des Trostes, sondern unmissverständliche Friedensmahnungen.

Schon Kardinal Sterzinsky setzt deutliche Akzente in seiner Predigt: Er vergleicht die Anschläge mit dem Abwurf der ersten Atombombe auf Hiroshima kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs – ein Ereignis, das ebenfalls „als Fanal einer bevorstehenden, gefürchteten Entwicklung gewertet wird“. Und er erinnert mehrfach an die unschuldigen Opfer der Kriegsführung in Afghanistan. Bischof Huber wird noch konkreter in seiner Deutung der Bergpredigt-Sätze „Selig, die Frieden stiften“. Er wünscht der Welt eine „Achse des Friedens". Das bedeute keineswegs, Gewalt und Unrecht passiv hinzunehmen, sagt Huber. Nur: Bei allen Antworten auf Unrecht müsse gewaltfreies Handeln Vorrang haben. Die Kirchen unterstützten alle Versuche, die Täter zu fassen, versichert der Bischof: „Aber ebenso deutlich ist die Warnung vor weiteren militärischen Schritten, auch gegen den Irak.“

Es ist dann sehr still im Dom, als Jocelyn B. Smith das Lied „Papa, can your hear me“ singt. Gewidmet hatte sie es jenen Kindern, die am Abend des 11. Septembers vergeblich auf ihre Eltern gewartet hatten . „Die Welt ist so viel kälter, seitdem ich alleine bin“, heißt es darin. Die in New York geborene Jazz-Sängerin, die in Berlin lebt, hatte auch vor einem Jahr, drei Tage nach den Anschlägen, bei der Solidaritätskundgebung vor 200 000 Berlinern am Brandenburger Tor die amerikanische Hymne gesungen.

Es fragt sich, wie US-Botschafter Coats den Gottesdienst versteht, der nach seinen deutlichen Interventionen gegenüber der Berliner Irak-Politik inzwischen versöhnlichere Töne anschlägt und Verständnis für den deutschen Wahlkampf äußert. Die vielen Minister aus dem rot-grünen Kabinett dürften sich durch die Predigt in ihrem Anti-Kriegs- Kurs bestätigt fühlen. Auch die Union lobt die Mahnung von Bischof Huber. „Es war eine gute Rede“, meint etwa CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer. Sie habe gezeigt, dass es im Kampf gegen den Terror keine einfachen Lösungen gebe. Und sie sei dem Auftrag der Kirche nachgekommen, sich einzumischen.

Als die Geistlichen und Vertreter der Verfassungsorgane dann unter den Klängen der Orgel längst ausgezogen sind und die Politiker draußen vor den Toren des Doms schon wieder die ersten Interviews geben, sitzt eine junge Frau im Seitenschiff noch immer auf der Bank. Inmitten all der feierlich gekleideten Menschen trägt sie ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „I love N.Y.“. Lang bleibt sie allein sitzen und verbirgt den gesenkten Kopf zwischen den Armen.

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