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Afghanistan: Jung verteidigt Entscheidung der Bundeswehr

Ein Team der Nato berichtet von rund 125 Menschen, die durch den Luftangriff in Afghanistan getötet worden seien. Der Verteidigungsminister weist den Bericht zurück und stellt sich hinter die Soldaten.

Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hat die umstrittene Entscheidung der Bundeswehr zur Bombardierung von zwei von Aufständischen in Afghanistan gekaperten Tanklastwagen gerechtfertigt. Er teile die Entscheidung des Kommandanten zu dem Angriff, sagte der Minister am Sonntag im ARD-Fernsehen. Er fügte hinzu: "Deshalb sollten wir alles tun, was Aufklärung anbetrifft, aber nicht verkennen, in welcher gefährlichen Situation sich unsere Soldaten dort befinden." Es müsse alles getan werden, um Gefahren von den Soldaten der Bundeswehr abzuwenden.

Bei dem von der Bundeswehr veranlassten Luftangriff in Afghanistan sind nach einem Bericht der "Washington Post" deutlich mehr Menschen gestorben, als das Bundesverteidigungsministerium bisher einräumt. Nach ersten Ergebnissen eines Untersuchungsteams der Nato seien bei dem Bombardement zweier von den Taliban gekaperter Tanklastzüge etwa 125 Menschen getötet worden, davon mindestens zwei Dutzend Zivilisten, berichtet die Zeitung am Sonntag. Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) blieb bisher bei seiner Version, es seien mehr als 50 Menschen gestorben, darunter keine Zivilisten.

Ministeriumssprecher Thomas Raabe wies die Darstellung von bis zu 125 Toten entschieden zurück. "Die Zahlen sind absolut nicht nachvollziehbar", sagte er. "Wir haben weiterhin keine Erkenntnisse über getötete Zivilisten." Bei dem Angriff auf zwei von den Taliban gekaperte Tanklastzüge am Freitag sei nicht gegen Isaf-Regeln verstoßen worden. Die Szenerie sei über eine längeren Zeitraum beobachtet worden. Erst nachdem man "mehrere Aufklärungsmittel" ausgewertet habe, sei die Entscheidung gefallen, Luftunterstützung anzufordern.

In dem Bericht der "Washington Post", deren Reporter mit dem siebenköpfigen Nato-Untersuchungsteam unter US-General Stanley McChrystal am Ort des Geschehens war und auch vertraulichen Gesprächen beiwohnen konnte, werden der Bundeswehr und ihrem Kommandeur in Kundus, Oberst Georg Klein, schwere Verfehlungen vorgeworfen. Der Entscheidung, die am Donnerstagabend entführten Tanklaster in der Nacht zum Freitag zu bombardieren, habe neben der Luftaufklärung nur eine einzige Quelle - ein über Telefon verbundener Afghane - zugrunde gelegen. Ministeriumssprecher Raabe sagte dagegen in Berlin, die Situation sei längere Zeit beobachtet worden, "mehrere Aufklärungsmittel" seien verwendet worden.

Die von zwei F-15-Kampfjets ins deutsche Hauptquartier gelieferten Bilder hätten neben den auf einer Sandbank im Fluss steckengebliebenen Lastern eine größere Zahl "schwarzer Punkte" gezeigt. Der afghanische Informant habe am Telefon versichert, dabei handele es sich ausschließlich um Aufständische. Klein sagte dem Nato-Aufklärungsteam später, die Angaben der Luftaufklärung und der afghanischen Quelle hätten sich "zu 100 Prozent" gedeckt.

Er habe die Gefahr gesehen, dass die Taliban die entführten Tanklaster als Sprengwaffe nutzen und Polizeistationen oder sogar das deutsche Feldlager damit angreifen könnten. Um 02.30 Uhr nachts habe Klein den Befehl zum Angriff gegeben, zwei Minuten später hätten die F-15-Piloten die 500-Pfund-Bomben abgeworfen. Einer Empfehlung der Piloten, 2000-Pfund-Bomben mit größerer Zerstörungskraft zu verwenden, sei das deutsche Kommando nicht gefolgt.

Eine neue Anordnung McChrystals für das Vorgehen in Afghanistan lautet, dass bebaute Gebiete nur bombardiert werden dürfen, wenn durch mehr als eine Quelle zweifelsfrei belegt ist, dass keine Zivilisten betroffen sind. Dies soll künftig auch im nicht bebauten Gebiet durchgesetzt werden, es sei denn die eigenen Kräfte sind in akuter Gefahr.

Bundeswehr-Oberst Klein habe das Erkundungsteam davon abhalten wollen, sowohl den Ort des Bombardements als auch das Krankenhaus in Kundus zu besuchen, wo Verletzte des Vorfalls behandelt werden. Beides sei "zu gefährlich", sagte Klein der Nato-Abordnung laut "Washington Post". Auch die Bundeswehr-Soldaten selbst seien nicht noch in der Nacht zum Ort des Bombenabwurfs im Kundus-Fluss geeilt, um mögliche Überlebende zu bergen.

Stattdessen hätten sie nach Sonnenaufgang ein unbemanntes Flugzeug geschickt, um Fotos zu machen. Erst gegen Mittag seien die ersten deutschen Soldaten am Fluss eingetroffen. Die Leichen seien zu dieser Zeit - gemäß der islamischen Tradition - beerdigt gewesen. Ein Schuhmacher aus dem betroffenen Dorf sagte der Zeitung, er habe drei seiner Cousins in ein- und demselben Grab beerdigt. "Alle waren in Panik. Es war eine schreckliche Nacht", beschrieb er die Lage unmittelbar nach dem Bombardement.

Der Nato habe zu diesem Zeitpunkt lediglich ein sechszeiliger Bericht des deutschen Wiederaufbauteams vorgelegen, notierte der "Post"-Reporter aus der Einsatz-Nachbesprechung im Feldlager des deutschen Wiederaufbauteams. Bei der afghanischen Bevölkerung wurde das Vorgehen der Bundeswehr und der Nato unterschiedlich aufgenommen. Verwandte von Dorfbewohnern schilderten in der Hauptstadt Kabul, unschuldige Zivilisten seien von den Taliban teils mit Gewalt gezwungen worden, den Aufständischen bei der Befreiung der festgefahrenen Tanklaster zu helfen. Die Taliban hätten unter vorgehaltener Waffe gerufen: "Bringt Eure Traktoren und helft uns. Was konnten wir da tun?" Ein zehnjähriger Junge, der von einem Bombensplitter am Bein verletzt worden war, sagte, er sei aus Neugier auf einem Esel zu den Tanklastern geritten.

Verteidigungsminister Franz Josef Jung stellte sich in der "Bild am Sonntag" hinter den Bundeswehroffizier, der die Luftunterstützung angefordert hatte. "Überhaupt kein Verständnis habe ich für jene Stimmen, die ohne Kenntnis der Sachlage und der Hintergründe bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt Kritik an dem militärischen Vorgehen üben. Dies wird nicht den schwierigen Situationen gerecht, in denen unsere Soldaten im Einsatz für die Stabilität in Afghanistan und damit im Interesse unserer Sicherheit in Deutschland Leib und Leben riskieren."

Weiter sagte er: "Durch sehr detaillierte Aufklärung über mehrere Stunden durch unsere Kräfte hatten wir klare Hinweise darauf, dass die Taliban beide Tanklastzüge circa sechs Kilometer von unserem Lager entfernt in ihre Gewalt gebracht haben, um einen Anschlag auf den Stützpunkt unserer Soldaten in Kunduz zu verüben. Wäre ihnen das gelungen, hätte es einen Anschlag mit entsetzlichen Folgen für unsere Soldaten gegeben. Deshalb halte ich die Entscheidung des deutschen Kommandeurs vor Ort für richtig."

Verteidigungsminister Jung war am Wochenende wegen seiner Kommunikationspolitik zunehmend unter Druck geraten.

Quelle: ZEIT ONLINE

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