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Afghanistan: Zum letzten Gefecht

Die USA wollen die Truppen in Afghanistan massiv verstärken, doch wichtige Verbündete zögern, unter ihnen Deutschland. Denn es wäre nicht der erste gescheiterte Einsatz am Hindukusch. Welche Parallelen gibt es zu der sowjetischen Invasion von 1979?

US-Präsident Barack Obama hat die Nato zu Anstrengungen im Kampf gegen die radikalislamischen Taliban in Afghanistan aufgefordert. Denn nach acht Jahren sind die Aufständischen im ganzen Land wieder auf dem Vormarsch. Nur die massive Aufstockung der Truppenstärke könne laut dem Oberbefehlshaber der internationalen Schutztruppe Isaf, US-General Stanley McChristal, ein Scheitern der Nato-Mission abwenden. Doch gerade europäische Nato-Partner, unter ihnen Deutschland, zögern. Sie wollen erst nach der Afghanistan-Konferenz am 28. Januar in London über eine mögliche Truppenaufstockung entscheiden.

Ein Grund dafür ist wahrscheinlich der Mythos der Unbezwingbarkeit des Landes, das zu drei Vierteln aus schwer zugänglichen Gebirgsregionen besteht. In der aktuellen Phase des Afghanistankonfliktes drängen sich unwillkürlich Parallelen zur Niederlage der Sowjetunion auf. Diese versuchte zwischen 1979 bis 1989, das Land am Hindukusch unter ihre Kontrolle zu bekommen. Doch der Roten Armee gelang es in zehn Jahren Krieg selbst durch rücksichtsloses Vorgehen nicht, den afghanischen Widerstand zu brechen. Schließlich wurde die Invasion Afghanistans für die Sowjetunion zu einem moralischen und ökonomischen Desaster, das erheblich zum Zusammenbruch der kommunistischen Supermacht beitrug.

Gibt es Parallelen zum heutigen Krieg der Nato gegen die Taliban?

Als die Rote Armee in einer Blitzaktion in Afghanistan einfiel, dauerte es nur wenige Tage, bis sie die wichtigsten Zentren des Landes besetzt hatte. Auch 2001 waren zur Vertreibung der Taliban durch die US-geführte Operation Enduring Freedom lediglich schwache Kräfte erforderlich. Danach erwartete die Nato keinen nennenswerten Widerstand mehr – wie auch der sowjetische Generalstab nach der erfolgreichen Besetzung des Landes nicht damit gerechnet hatte, in einen zermürbenden, zähen Partisanenkrieg verwickelt zu werden.

Doch mussten die sowjetischen Militärs schon bald feststellen, dass es nicht ausreichte, lediglich die Städte unter Kontrolle zu haben, um das Land zu beherrschen. Sie mussten erkennen, dass sich der Widerstand gegen die sowjetische Militärmaschine vor allem unter den 80 Prozent der Afghanen, die auf dem Land lebten, entwickelte.

Auch die Nato hat dieses Problem erst spät erkannt. Anfangs meinte man noch, geringe Truppen in Kabul und einigen anderen Zentren des Landes würden ausreichen, den afghanischen Staat nach westlichen Maßstäben neu zu gründen und zu stabilisieren. Erst nach und nach weitete die Nato ihre Mission auch auf das übrige Land aus. Wenn die Nato-Truppen nach den jüngsten Forderungen der Amerikaner aufgestockt werden, entspricht deren Stärke in etwa jenen 115 000 Mann, die die Rote Armee auf dem Höhepunkt ihres Krieges Mitte der 80er Jahre am Hindukusch im Einsatz hatte.

Eine weitere Parallele liegt in dem Bestreben, die eigenen gesellschaftlichen Wertvorstellungen in die traditionelle afghanische Gesellschaft hineinzutragen. Den sowjetischen Besatzern ging es nicht nur um die strategische Kontrolle Afghanistans. Sie versuchten auch, ihr kommunistisches Werte- und Gesellschaftssystem zu transferieren. Im Zentrum ihrer Bemühungen stand die Überwindung der traditionellen afghanischen Gesellschaftsordnung, wie sie sich beispielsweise in der Unterdrückung der Frau manifestiert. In den städtischen Zentren und vor allem in Kabul gelang ihnen dies schon in hohem Maße: Auch in der Öffentlichkeit häufig unverschleiert, arbeiteten viele Frauen als Beamte oder Ärztinnen. Doch genau wie die Verantwortlichen der Nato heute hatten die damaligen sowjetischen Machthaber die kulturelle Kluft zwischen der Land- und der Stadtbevölkerung unterschätzt. Eine Kluft, die den Widerstand gegen das Fremde auch heute noch nährt.

Woran sind die sowjetischen Truppen in Afghanistan gescheitert?

Das Scheitern der Roten Armee in Afghanistan verbindet sich mit einem festen Datum. Am 25. September 1986 begann sich das Bild des Krieges dramatisch zu wandeln. Bis dahin war es den sowjetischen Besatzern mit äußerster Brutalität auch gegen die Landbevölkerung nach und nach gelungen, den afghanischen Widerstand in die Defensive zu drängen. Eine Niederlage der Mudschaheddin schien sich abzuzeichnen.

An diesem Tag hatten acht schwer bewaffnete und gepanzerte Kampfhubschrauber der Roten Armee einen Routineauftrag auszuführen. Als sie sich im Landeanflug befanden, um Soldaten im Hinterland abzusetzen, explodierten plötzlich drei von ihnen in der Luft. Es war das erste Mal, dass die Mudschaheddin Stingerraketen einsetzten. Mit diesen von den USA gelieferten, von einem Mann zu bedienenden Flugabwehrraketen, die ihr Ziel selbstständig ansteuern, raubten die Afghanen der sowjetischen Armee ihre wirksamste Waffe.

Die Geografie Afghanistans mit seinen hohen Bergen und vielfach verästelten Tälern ist das ideale Terrain für einen verdeckt und aus dem Hinterhalt operierenden Gegner. Nur durch den kombinierten Einsatz von Bodentruppen und Luftwaffe, besonders der Kampfhubschrauber, kann dieser Gegner mit Aussicht auf Erfolg bekämpft werden, wenn man hohe eigene Verluste vermeiden will. Mit dem 25. September 1986 war das schärfste Schwert der Roten Armee stumpf geworden. Im darauffolgenden Jahr schossen die Mudschaheddin insgesamt 270 sowjetische Flugzeuge und Hubschrauber ab.

Was unterscheidet den Krieg der Sowjetunion von dem der Nato?

Die Amerikaner, die die Hauptlast des Kampfes gegen die Taliban tragen, haben erkannt, wie schädlich zivile Opfer für das eigene Ansehen im Land sind. Seit einigen Monaten haben sie ihre Einsatztaktik geändert und stellen inzwischen deutlich strengere Anforderungen für einen Luftangriff. Seither sind zivile Opfer möglichst zu vermeiden.

Die Rote Armee ging den umgekehrten Weg. Durch massive Bombardierungen der ländlichen Zivilbevölkerung und eine großflächige Verminung sollte die Landbevölkerung in die Städte getrieben und so den Widerstandskämpfern die Lebensgrundlage entzogen werden. So steigerten sie den Hass auf Seiten der Afghanen und der moslemischen Welt, was dazu führte, dass Moslems aus aller Welt, unter ihnen Osama Bin Laden, in den heiligen Krieg nach Afghanistan zogen.

Entscheidend für den langen Widerstand der Mudschaheddin und letztlich ihren Sieg war aber vor allem auch die massive Unterstützung der USA. Allein 1985 stellte die US-Regierung den Guerilla-Kämpfern 500 Millionen Dollar zur Verfügung. Ebenso viel kam aus Saudi- Arabien. Die Taliban müssen sich dagegen im Wesentlichen aus dem Drogenhandel finanzieren. Auch fehlt es ihnen an der modernen Bewaffnung, mit der die Mudschaheddin als Stellvertreter im Kampf gegen den Kommunismus vom Westen ausgerüstet wurden. Als die US- Truppen in Afghanistan einmarschierten, boten sie zum Ankauf jeder Stingerrakete, die sich noch in afghanischen Händen befand, eine Million Dollar.

Ist der Krieg noch zu gewinnen?

Will die Nato diesen Konflikt noch für sich entscheiden, dann wird es nicht genügen, einfach nur mehr Soldaten zu schicken. Eine Lehre aus der Geschichte könnte sein, einen so unerbittlichen Krieg zu führen wie seinerzeit die Sowjetunion. Oder man legt Wert darauf, auch die Unterstützung der einfachen Bevölkerung zu gewinnen – und hier vor allem der größten Volksgruppe, der Paschtunen. Dies wird aber wohl nur gelingen, wenn der Westen die traditionellen afghanischen Wertmaßstäbe respektiert und auf einen langsamen Wandel setzt. Die Afghanen mit den Großprojekten der westlichen Demokratie, der Gleichstellung der Frau und einem säkularen Rechtssystem innerhalb einer Generation aus dem Mittelalter in die Moderne katapultieren zu wollen, hieße die Mehrzahl der Afghanen zu überfordern und den Taliban Zulauf zu verschaffen.

Der Autor ist Militärhistoriker und Reserveoffizier.

Erwin Starke

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