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Aktion Sühnezeichen: Der lange Weg der Deutschen

Der Bundespräsident wird kommen, der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, die Zentralratspräsidentin der Juden in Deutschland, der Berliner Erzbischof: viel Ehre für ein Unternehmen, das nicht gerade in aller Munde ist? Aber die Aktion Sühnezeichen, die an diesem Freitag mit einem Festakt in Berlin ihr fünfzigjähriges Bestehen begeht, hat ein Beispiel gesetzt, das die Würdigung verdient.

Der Bundespräsident wird kommen, der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, die Zentralratspräsidentin der Juden in Deutschland, der Berliner Erzbischof: viel Ehre für ein Unternehmen, das nicht gerade in aller Munde ist? Aber die Aktion Sühnezeichen, die an diesem Freitag mit einem Festakt in Berlin ihr fünfzigjähriges Bestehen begeht, hat ein Beispiel gesetzt, das die Würdigung verdient. Unter ihrem Zeichen haben in dieser Zeit 15.000 zumeist junge Menschen in den Teilen Europas, die das Dritte Reich mit Krieg überzog, in Israel und in den USA, Aufbau- und Sozialarbeit geleistet. Der stete Tropfen, der den Stein höhlt? Jedenfalls hat kaum ein Unternehmen so eindrucksvoll Zeugnis abgelegt für den Willen von Deutschen, ihrer Schuld zu begegnen – mit „unseren Händen und unseren Mitteln“, wie es im Gründungaufruf hieß. Schon dieser Aufruf ist ein Dokument, das lohnt, ins Gedächtnis zurückgerufen zu werden. Der protestantische Geist, der darin weht – herbe Gewissensbefragung, Demut, Wille zur Umkehr –, mag nicht jedermanns Sache sein. Doch er machte die Absicht glaubhaft, den von den Deutschen verantworteten Zerstörungen in Europa und der Judenvernichtung – die man damals noch nicht Holocaust nannte – durch praktische Arbeit ein Versöhnungszeichen entgegenzusetzen: als eine Kraft gegen Selbstrechtfertigung, Bitterkeit und Hass. Ausdrücklich bot die Aktion nicht Hilfe an. Nein, die Täter-Nation bat die Opfer-Staaten um die Erlaubnis, helfen zu dürfen. Und der Aufruf, von Präses Lothar Kreyssig aus Magdeburg vor der noch gesamtdeutschen evangelischen Synode im Spandauer Johannesstift verlesen, zog auch ehrlich die Konsequenzen aus der Gegenwart: den dreizehn Jahren nach dem Krieg, die die Nachkriegsdeutschen „erst in dumpfer Betäubung, dann in neuer angstvoller Selbstbehauptung" verbracht hatten. Drängender Schluss daraus: „Es droht, zu spät zu werden“. Die deutsche Nachkriegszeit bringt es mit sich, dass zur gleichen Zeit ein anderes Ereignis die Bundesrepublik bewegte. 1958 begann, ebenfalls Ende April, der sogenannte Ulmer Einsatzgruppenprozess. Es war das erste große Verfahren gegen SS-Männer, die an der massenhaften Erschießung von Juden im litauisch-deutschen Grenzgebiet beteiligt waren. Mit ihm beginnt die Reihe der großes NS-Prozesse, die im Auschwitz-Prozess ihren Höhepunkt hatte. Der Ulmer Prozess widerlegt nicht nur die gerade im Moment gern wiederholte Behauptung, dass die Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich erst mit den 68ern begonnen habe. Vor allem macht er deutlich, wie schwer sich die Deutschen mit der „Bewältigung der Vergangenheit“ taten – dieser unzureichenden Formel für ein ganzes Kapitel der Nachkriegszeit. Eine Gesellschaft, der zum überwiegenden Teil Krieg und Zusammenbruch noch in den Knochen saß, musste Täter ermitteln und verurteilen, mit denen sie vergleichbare Schicksale teilte und die inzwischen als brave Bürger unter ihnen lebten. Eine Folge des Ulmer Prozesses war übrigens die Errichtung der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen. Natürlich ist die Koinzidenz der Gründung der Aktion Sühnezeichen und des Ulmer Prozesses, der im Herbst mit den Urteilen zu Ende ging, ein Zufall. Aber man kann auch sagen, dass die Geschichte damit auf den Punkt hin Regie geführt hat. Denn: Gehören der Versuch, einen Prozess der Versöhnung in Gang zu bringen, und die systematische Verfolgung der nationalsozialistischen Verbrechen nicht zusammen – Zeichen von Schuld und Sühne, Strafe und Versöhnung? Der deutsch-amerikanische Historiker Konrad Jarausch hat einmal die Nachkriegsgeschichte als die große „Umkehr“ der Deutschen, von der Barbarei zur wiedergewonnenen Zivilisation, beschrieben. Dann bekäme dasFünfzigjahr-Jubiläum der Aktion Sühnezeichen durch die Erinnerung an den Ulmer Prozess seinen angemessenen, dunklen Hintergrund. Und beide Ereignisse wären Stationen auf dem langen, wendungsreichen Weg, den die Deutschen in der Nachkriegszeit zurückgelegt haben.

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