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Bunte Blumen in Lützerath.

© Yannik Achternbosch

Aktivisten machen gegen Garzweiler II mobil: „Lützerath lebt“ – aber wie lange noch?

Immer wieder müssen Dörfer im Rheinland dem Tagebau weichen. Aktivisten versuchen das zu verhindern. Helfen ihnen dieses Mal die neuen politischen Verhältnisse?

Von Yannik Achternbosch

Die 1,5 Grad-Grenze ist grün, auf ihr blühen bunte Blumen, ab und zu fliegt eine Biene darüber – und keine einhundert Meter weiter dreht sich das Schaufelrad eines riesigen Kohlebaggers.

Kurz vor dem kleinen Dorf Lützerath im Rheinland entscheidet sich, ob Deutschland den eigenen Beitrag zur Beschränkung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius leistet. Das sagen Aktivist:innen, die sich in der Initiative „Lützerath lebt“ engagieren.

Was erstmal wie eine plakative These klingt, ist durch eine wissenschaftliche Studie belegt: Laut der Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), das von der Initiative „Alle Dörfer bleiben“ beauftragt wurde, darf die Braunkohle, die unter Lützerath und der Umgebung liegt, nicht mehr verbrannt werden, damit Deutschland sein Treibhausgas-Budget für die 1,5 Grad-Grenze nicht überschreitet.

Und selbst wenn der Tagebau nicht erweitert wird, berechnet die Studie lediglich eine fünfzigprozentige Chance auf das Einhalten der 1,5 Grad- Erderwärmung. Der Erdwall, der zwischen der ehemaligen Landesstraße 277 und dem Tagebauvorfeld von RWE verläuft, steht daher symbolisch als 1,5 Grad-Grenze.

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Seit vielen Jahrzehnten gibt es Widerstand gegen die Braunkohle- Bagger im Rheinischen Revier. Immer wieder mussten Häuser, Kirchen und Bäume dem Tagebau weichen. Mal wieder ist hier ein Dorf akut bedroht. Doch in diesem Jahr ist die Situation ein wenig anders: Der Widerstand ist größer. Außerdem schaut eine breitere Öffentlichkeit nach Lützerath, der Klimawandel und damit auch der Kohleausstieg sind in aller Munde.

Die Aktivist:innen kämpfen um den Erhalt des Dorfes.
Die Aktivist:innen kämpfen um den Erhalt des Dorfes.

© Yannik Achternbosch

Neben den lokalen Initiativen rufen auch überregionale Bündnisse aus der Klimagerechtigkeitsbewegung zum Widerstand auf: Unter anderem Ende Gelände, Fridays for Future, Extinction Rebellion mobilisieren ihre Anhänger:innen ins Rheinland. „Baut auf, was euch aufbaut“ steht auf einem Sticker von Ende Gelände. Genau das machen zur Zeit rund 300 Aktivist:innen.

Aktuell zelten sie auf der Wiese des Bauern Eckardt Heukamp, der sich als eine der letzten Personen gegen die Enteignung für den Braunkohleabbau wehrt. Auf seinem Grundstück wollen die verschiedenen Bündnisse die „ZAD Rheinland“ errichten. Die Abkürzung ZAD kommt aus dem Französischen und beudetet „zone à défendre“, zu verteidigende Zone. Den ganzen Tag sind auf der Wiese und in den Bäumen rundherum Hammer und Sägen zu hören.

Aktivist:innen tragen Paletten und Balken zu Baumhaus-Baustellen, immer wieder klettern Menschen in Bäumen umher. Der Aufbau der ZAD läuft auf Hochtouren. Im „Lützi-Wald“ entstehen Baumhäuser, auf Heukamps Wiese werden kleine Hütten gebaut.

Klimaaktivistin Greta Thunberg besuchte Lützerath vor der Bundestagswahl.
Klimaaktivistin Greta Thunberg besuchte Lützerath vor der Bundestagswahl.

© Henning Kaiser/dpa

Stand jetzt bleibt den Aktivist:innen ein knapper Monat, um ihre Infrastruktur aufzubauen. Am 1. November tritt die Enteignung in Kraft, mit der Bauer Heukamp seine Grundstücke an RWE verliert. Damit wären die letzten Grundstücke in Lützerath in der Hand von RWE, der Konzern könnte die Häuser abreißen und den Tagebau erweitern. Auch die Kohle unter dem Dorf würde abgebaggert und verbrannt werden.

Heukamp hat gegen die Enteignung durch RWE geklagt, doch mit Beginn des Novembers kann der Konzern auch ohne Gerichtsurteil mit dem Abriss beginnen. Ab dem 29. Oktober soll daher in Lützerath ein „Unräumbar“- Festival stattfinden, mit dem die Aktivist:innen durch zivilen Ungehorsam den Abriss des Orts verhindern wollen.

[Lesen Sie auch: Greta Thunberg im Interview: „Wir werden immer noch politisch betrogen“ (T+)]

Ihr großer Vorteil könnte dabei eine leichte Veränderung der politischen Situation in Deutschland sein. „Niemand will sich an Lützerath gerade politisch die Finger verbrennen“, sagt ein Kommunikationsbeamter der Polizei vor Ort im Gespräch mit Aktivist:innen.

Das Gespräch findet im freundlichen Ton und mit rheinländischer Unverbindlichkeit statt. Man kann fast vergessen, dass es sehr konkret um die Zukunft eines Dorfes geht. In wenigen Monaten könnte Lützerath vollständig im Tagebau verschwunden sein.

Im Hintergrund dreht sich im Tagebau unaufhaltsam das Schaufelrad des Baggers. Während Armin Laschet versucht, irgendwie seine politische Karriere – auf Landes- oder Bundesebene – zu sichern, verhandeln in Berlin die Grünen über eine neue Bundesregierung. Beschlossen ist für Deutschland zwar der Kohleausstieg bis 2038, je nach Ausgang der Koalitionsverhandlungen in Berlin könnte er jedoch um einige Jahre – im Gespräch ist 2030 – vorgezogen werden.

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In diesem Kontext ein Dorf abzureißen, um darunter Braunkohle abzubauen, die dann klimaschädlich verbrannt wird, das ist ein Vorhaben mit politischer Sprengkraft. Die DIW-Studie stärkt in diesem Interessenskonflikt die Position der Aktivist:innen. Wissenschaftlich belegt ist hierdurch, dass Deutschland durch den Erhalt von Lützerath einen nicht unerheblichen Teil des noch verbleibenden Treibhausgas-Budgets einsparen könnte. Dem entgegen stehen jedoch die Interessen von RWE. Der Konzern will den Tagebau Garzweiler II erweitern. So ist es in alten Plänen vorgesehen ist. Dafür müsste Lützerath weichen, die Aktivist:innen sind dabei vor allem Hindernisse.

Während die Polizei immer wieder betont, sie verfolge eine deeskalierende Strategie, hat sich der Stromkonzern in den vergangenen Tagen ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Aktivist:innen geliefert – auch zum Missfallen der Beamt:innen. Mehrfach versuchten Firmen im Auftrag von RWE, Materialien und Gerät in den Ort zu bringen. Einige Häuser in Lützerath gehören dem Konzern bereits, seit dem 1. Oktober dürfte der Konzern dort Bäume fällen und Häuser abreißen.

Mit Sitzblockaden haben Aktivist:innen die Lieferungen bisher jedoch verhindern können. Neben diesen kleinen Blockaden im Ort haben Aktivist:innen zum Auftakt der Rodungssaison am frühen Morgen des 1. Oktobers drei Bagger im angrenzenden Tagebau besetzt. Die Polizei brauchte bis zum frühen Abend, um alle Aktivist:innen von den Baggern zu räumen, bis dahin standen die Schaufeln still.

Einige Aktivist:innen in Gewahrsam genommen

22 Aktivist:innen wurden zeitweise in Gewahrsam genommen worden. Für 14 von ihnen wurde durch einen Richter ein längerfristiger Gewahrsam angeordnet, teilte die Polizei am Samstag in Aachen mit. Mehrere der Beteiligten hatten laut Polizei durch eine Manipulation ihrer Fingerkuppen die Feststellung ihrer Identität zunächst unmöglich gemacht. Damit wurde begründet, dass sie länger festgehalten wurden. Die übrigen zunächst Festgenommenen wurden wieder freigelassen. Einige der Aktivistinnen und Aktivisten hatten sich mit sogenannten Lock-on-Vorrichtungen an den Geräten festgekettet.

Trotz der Mobilisierung und der ersten Aktionen plane die Polizei aktuell keinen Großeinsatz, um den Abriss der Häuser durch RWE zu schützen, sagt der Kommunikationsbeamte. Denkbar ist jedoch, dass der Konzern einfach eigenständig und entgegen der Bitte der Aachener Polizei (diese ist für den Bereich des Tagebaus zuständig) damit beginnt. Komme es dabei zu Straftaten von Aktivist:innen oder RWE, müsse die Polizei natürlich einschreiten.

Genau darauf bereiten sich die Aktivist:innen in der selbsternannten ZAD Rheinland vor. Sie wollen für RWE die „Rodungssaison zum Desaster machen“. „Am Ende brauchen wir einen langen Atem“, sagt eine Aktivistin. Doch für die 1,5 Grad-Grenze wollen sie den haben. Die politische Situation nach der Bundestagswahl könnte ihnen da einen entscheidenden Vorteil verschaffen. Ob dieser Vorteil allerdings für den Erhalt von Lützerath ausreicht, müssen die nächsten Wochen zeigen.

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