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Politik: Alle gegen Karsai

Opposition fordert mehr Macht für das Parlament

Moskau - Experten sind sich weitgehend einig: Krieg, Bürgerkrieg, die Taliban und die internationale Antiterrorkoalition, die von den Massen zunehmend als Besatzungsmacht wahrgenommen wird, wären dem Staat am Hindukusch wohl erspart geblieben, hätte sich die „Vereinigte Front Afghanistans“, die Anfang April in Kabul gegründet wurde, schon zwanzig Jahre früher konstituiert. Die neu gegründete Vereinigung stellt gut fünf Jahre nach der Bonner Afghanistankonferenz den unter UN-Ägide ausgehandelten Friedensplan infrage, den sie bis spätestens nach den Wahlen Ende 2008 abschaffen will.

Außerdem strebt die „Front“ neben der Entmachtung des vom Westen unterstützten Präsidenten Hamid Karsai umfangreiche Änderungen der unter Mühen zustande gekommenen und teilweise vom Westen redigierten neuen Verfassung an: Der Präsident soll wie ein konstitutioneller Monarch vor allem repräsentative Aufgaben erfüllen und die reale Macht an das Parlament abtreten, das die Regierung wählt. Auch die gegenwärtig von Kabul ernannten Provinzgouverneure sollen künftig direkt gewählt werden.

Die „Front“ hat für das Vorhaben gute Karten. Jedenfalls auf den ersten Blick. Ihr gehören – und das ist ein Novum in der Geschichte Afghanistans – Gruppen an, die sich bisher vor allem durch die Zieloptik automatischer Schnellfeuerwaffen wahrnahmen: exkommunistische Parteigänger Moskaus und ehemalige Mudschaheddin, die in den achtziger Jahren gegen die Besatzer kämpften, die Führer der Nordallianz, die zwischen 1995 und 2001 den Widerstand gegen die Taliban organisierten, ein Enkel von Ex-König Zahir Schah und mehrere einflussreiche Warlords – darunter Ismail Khan, der Herr der schiitischen Westprovinz Herat, und General Abdurraschid Dostum, der Führer der usbekischen Volksgruppe.

Khan und Dostum ließen sich von Karsai zwar mit hohen Staatsämtern belehnen, sind gegenüber der Zentralregierung in Kabul jedoch nur bedingt loyal und befehligen Privatarmeen mit mehreren tausend Kämpfern. Mit der Loyalität der anderen „Front“-Führer ist es kaum besser bestellt. Sie gehören zum harten Kern der Opposition, die das Parlament beherrscht, von dem Karsai nichts Gutes mehr zu erwarten hat. Bei Regierungsumbildungen im Frühjahr 2006 gingen alle Ministerposten an sein Mehrheitsvolk der Paschtunen. Ihm gehören mehrheitlich auch die Taliban an, mit denen Karsai Sondierungsgespräche über eine Regierungsbeteiligung führt, um mangelnde Zustimmung bei den Massen und im oppositionellen Parlament zu kompensieren.

Zwangsläufig reproduzieren sich dadurch die alten ethnischen Gräben, die letztendlich auch zur Bildung der von den Minderheiten dominierten „Front“ führten. Gegründet auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners, hat sie gleich große Chancen für Sieg und Scheitern. Umso mehr, da der für die ersten sechs Monate zum Führer gewählte Ex-Präsident Rabbani, ein konservativer Islamist, schon mehrfach als Integrationsfigur versagte.

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